Im Gespräch mit Daniel Tröster, Experte für Planungs- und  Partizipationsprozesse und Fraktionsgeschäftsführer, diskutieren unsere Fraktionsvorsitzenden Verena von Mutius-Bartholy und Peter Rauscher, was uns an dem Thema so wichtig ist und  wie „echte” Bürger*innenbeteiligung gelingen kann.

Das Thema Bürger*innenbeteiligung ist für uns GRÜNE ein elementarer Bestandteil politischer Arbeit in der Demokratie. Unser Fraktionsgeschäftsführer und Beteiligungsexperte Daniel Tröster hat sich darüber mit unseren Fraktions- vorsitzenden ausgetauscht.

Daniel Tröster (DT): Wenn Beteiligungsmöglichkeiten ausgebaut werden, wird politische Arbeit dadurch komplizierter?

Peter Rauscher (PR): Sie wird nicht komplizierter, sie wird anders. In frühzeitigen und ernsthaften Beteiligungsformen steckt aber ein enormes Potenzial. Die Menschen wünschen sich mehr Beteiligung, Mitsprache und eine frühe Mitwirkung an Entscheidungen. Alle paar Jahre ihr Kreuz zu machen genügt vielen nicht. Sich diesem Anspruch zu stellen und darin keine Bedrohung der eigenen Rolle als Repräsentant*in zu sehen ist eine Herausforderung, die wir als Regierungsfraktion gerne annehmen. Wenn wir hier nicht umdenken, werden wir einem modernen Demokratieverständnis nicht gerecht und verlieren engagierte Menschen an populistische Schreihälse und ihre falschen Versprechen. Für mich geht es in erster Linie darum, Menschen und ihre Ideen mitzunehmen, statt sie außen vor zu lassen. Das führt zu besseren Lösungen, die eher von der breiten Bevölkerung mitgetragen werden. Bürger*innenbeteiligung ist für alle Seiten bereichernd!

Verena von Mutius-Bartholy (VM): Vorausgesetzt die Beteiligungsverfahren sind geeignet und kommunizieren klar, in welchem Umfang Beteiligung möglich ist. Dann trägt Beteiligung zur qualitativen Verbesserung unserer politischen Arbeit bei. Der Gesamtaufwand ist dabei nicht zwingend größer. Im Idealfall findet eine Aufwandsverlagerung statt – hin zu einer frühzeitigen Klärung während der Entwicklungsphase und weg von der Schlichtung zermürbender Konflikte im Nachhinein. Deshalb ist es uns so wichtig, dass dabei bestimmte Prinzipien eingehalten werden. Ganz entscheidend ist z. B. eine Begegnung mit den Bürger*innen auf Augenhöhe. Wenn am Anfang schon feststeht, was am Ende rauskommen soll und die Beteiligung nur inszeniert wird, um die geplanten Vorgänge zu legitimieren, dann ist das nicht mehr als eine Verkaufsveranstaltung. Dann werden Bürger*innen nicht ernst genommen und das eigentliche Anliegen wird ad absurdum geführt. Wichtig ist außerdem, dass klar kommuniziert wird, wie ergebnisoffen die Beteiligung im Hinblick auf die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen sind.

DT: Das bedeutet aber auch, dass die Ergebnisse womöglich stark von den Erwartungen und Wünschen der Politiker*innen abweichen oder auch mal gar keine Einigung zustandekommt. Wie geht ihr damit um?

VM: Natürlich gibt es dieses Risiko, doch darauf muss man sich einlassen, wenn man Neues wagen will. Wenn allerdings von vornherein klar ist, dass es eigentlich keinen Entscheidungsspielraum gibt, ist ein Beteiligungsverfahren schlicht nicht der richtige Ansatz. Dann ist es aber trotzdem wichtig, über Vorgänge und Hintergründe transparent zu informieren und nachvollziehbare Argumente vorzubringen. Hier unterscheiden wir GRÜNEN zwischen Bürger*inneninformation und Bürger*innenbeteiliung.

PR: Beteiligung ist nicht gleichbedeutend mit Entscheidung. Aber wenn es Entscheidungsspielraum gibt und Partizipation ermöglicht wird, müssen die Ergebnisse auch aufgegriffen werden und in die Entscheidungen einfließen. Beteiligung erfordert insgesamt zwar mehr Flexibilität, bringt aber einen deutlichen Mehrwert im Hinblick auf Qualität und Akzeptanz der Lösungen sowie auf Identifikation und Mitverantwortung. Beteiligung fördert Kreativität, initiiert Lernprozesse und ist darüber hinaus eine logische Konsequenz unserer grünen Überzeugung, dass mehr „Bottom-up” ein Gebot der Stunde ist und der grassierenden Politikverdrossenheit entgegenwirken kann.

DT: Gibt es in diesem Kontext bei euch auch sowas wie „Bürger*innenverdrossenheit“? Also tolle Angebote und niemand macht mit?

VM: Natürlich finde ich es schade, wenn Beteiligungsmöglichkeiten von Bürger*innen nicht genutzt bzw. Potenziale nicht ausgeschöpft werden, aber wir müssen uns dann eben fragen: Warum wurden gewisse Leute nicht erreicht? Welche Informationskanäle oder Beteiligungsformate eignen sich eventuell besser? Wo können wir Hürden abbauen und Menschen motivieren, sich aktiv einzubringen? In der Praxis haben wir aber kaum das Problem, dass niemand mitgestalten will. Es sind nur oft nicht alle Gruppen gleich stark repräsentiert.

PR: Ja, das ist in der Tat ein Problem. Traditionelle Beteiligungsangebote können das Ungleichgewicht hinsichtlich gesellschaftlicher Mitgestaltung sogar vergrößern. Uns GRÜNEN ist es deshalb besonders wichtig, dass Beteiligung inklusiv ist! Es gibt hier vielversprechende emanzipatorische Ansätze, um gezielt auch „schweigende Gruppen“ anzusprechen und einzuladen.

DT: Beteiligung sollte also inklusiv sein und auf Augenhöhe mit den Bürger*innen stattfinden. Was noch?

PR: Eine Bedingung für gelingende Beteiligung und generell ein zentrales grünes Anliegen ist maximale Transparenz von Anfang an. Alle relevanten Informationen müssen gut aufbereitet auf den Tisch. Darüber hinaus sollten auch Ziele und Interessen, die mit einem Vorhaben verbunden sind, klar kommuniziert werden – was übrigens auch eine Voraussetzung für Begegnung auf Augenhöhe ist. Ein weiterer Aspekt in die- sem Zusammenhang ist die Kontinuität der Informationspolitik. Häufig ist Transparenz eine Momentaufnahme, während sich der gesamte Prozess nicht selten über viele Jahre erstreckt. Wie kann es gelingen, Entwicklungen über lange Zeiträume sichtbar und nachvollziehbar zu halten? Dieser Herausforderung wollen wir uns stellen.

VM: Grundsätzlich ist ein planvolles Vorgehen das A und O für jedes Beteiligungsverfahren. Es gibt aber kein „Schema F” für Bürger*innenbeteiligung. Für jeden Anlass muss ein geeignetes Konzept entwickelt werden – je nach Zielsetzung, Planungshorizont, öffentlichem Interesse bzw. Konfliktpotenzial. In diesem Kontext müssen schon im Vorfeld zentrale Fragen geklärt werden.

DT: Welche wären das?

VM: Zu allererst: Wer soll überhaupt beteiligt werden? Stakeholder vertreten z. B. tendenziell eher ihre eigenen Interessen und haben vielleicht weniger das Gemeinwohl im Blick, sollten aber natürlich mehr Mitspracherecht haben als diejenigen, die gar nicht direkt betroffen sind. Wichtig ist auch die Frage: In welcher Phase ist Beteiligung tatsächlich sinnvoll? Für Baugenehmigungsverfahren beispielsweise ist Beteiligung rechtlich gar nicht möglich, im Rahmen der Bauleitplanung dagegen sogar explizit vorgesehen. Wie weit soll die Mitbestimmung reichen und wie soll mit den Ergebnissen umgegangen werden? Geht es „bloß“ um ein Stimmungsbild oder werden Bürger*innen weitreichende Entscheidungsbefugnisse eingeräumt – etwa im Rahmen eines Bürgergutachtens, das auch dazu führen kann, dass ein geplantes Projekt gekippt wird, wenn es nicht überzeugt. Und schließlich: Welche Ansätze und Methoden passen zum Gegenstand der Beteiligung und zu den beteiligten Bürger*innen?

PR: Und dazu kommt noch die übergeordnete Ebene. Ein Beteiligungsprozess muss professionell organisiert und moderiert sein. Deshalb wünschen wir uns für Augsburg ein Beteiligungsbüro, das die erforderlichen Kompetenzen bündelt und auch die überregionale Anschlussfähigkeit der Resultate im Blick hat. Dabei müssen wir das Rad nicht neu erfinden, aber wissen, welche Räder rund laufen und zum Ziel führen! Es gibt zahlreiche bewährte konzeptionelle und methodische Zugänge und überzeugende Leitbilder, z. B. in Heidelberg, Leipzig oder Bonn. Daraus passgenaue Angebote für Augsburg zu schneidern ist unser Ziel. Uns ist enorm wichtig, dass keine Potenziale verschwendet werden und die teilnehmenden Bürger*innen das Gefühl haben, dass ihr ehrenamtlicher Einsatz sich lohnt.

DT: Schlussfrage: Welches Beteiligungsprojekt wollt ihr in dieser Wahlperiode unbedingt noch auf den Weg bringen?

PR: Ich will, dass wir in dieser Stadtratsperiode die Strukturen schaffen, dass die unterschiedlichen Beteiligungsformate und Möglichkeiten ganz selbstverständlich in allen infrage kommenden Verfahren und Projekten angewendet werden und dass wir offen darüber reden, evaluieren und gemeinsam dadurch unsere Demokratie stärken.

VM: Das von mir seit Beginn meiner Stadtratstätigkeit angestoßene Jugendbeteiligungskonzept muss nach 14 Jahren endlich umgesetzt werden, aber hier sind wir aktuell auch Dank unserer Bürgermeisterin Martina Wild auf einem sehr guten Weg. Wir müssen den jungen Menschen damit zeigen, dass es sich lohnt in der besten Regierungsform der Welt – der Demokratie – Stakeholder zu werden und Teil einer aktiven Gesellschaft zu sein.

Bürger*innenbeteiligung – Was ist das eigentlich?

„Unter Bürgerbeteiligung werden alle Verfahren und Prozesse verstanden, bei denen Personen außerhalb politischer Mandatsträger oder der ihnen zugeordneten Behörden und Institutionen an der kollektiv wirksamen Willens- und Entscheidungsfindung aktiv mitwirken“ (Benighaus et al. (Hrsg.) 2016: Bürgerbeteiligung. Konzepte und Lösungswege für die Praxis. Wolfgang Metzner Verlag, S. 33)

Dabei unterscheidet man formelle, gesetzlich geregelte (in Augsburg z. B. Bürgerbegehren „Fahrradstadt jetzt“, Ratsbegehren, Bauleitplanungen) und informelle, durch Organisator*innen und Mitwirkende frei gestaltbare Verfahren (in Augsburg z. B. Beiräte wie der Klimabeirat, Forum Innenstadt Augsburg, Runde Tische für die Kultur), die jeweils von der Stadt oder aus der Bürgerschaft heraus initiiert werden können. Reine Informationsveranstaltungen fallen nicht darunter.

 

 

 

 

 

Beteiligte Personen