Bürgerschaftliches Engagement braucht Vielfalt, es muss inklusiv sein und die Interessen aller Menschen berücksichtigen. Dafür müssen Hürden abgebaut werden und Menschen miteinander ins Gespräch kommen. In diesem Beitrag benennen wir exemplarisch wichtige Schritte, die wir bereits gegangen sind, und präsentieren grüne Denkanstöße, Ideen und Pläne für eine Stärkung migrantischer Perspektiven in Beteiligungsprozessen.

Menschen mit Migrationshintergrund engagieren sich seltener ehrenamtlich als Menschenohne Migrationsgeschichte, so der Befund des Freiwilligensurvey der Bundesregierung aus 2016 (31,5 Prozent zu 46,8 Prozent). Sie haben auch seltener Leitungs- oder Vorstandsfunktionen inne. Interessant ist aber: Menschen mit Migrationshintergrund sind stärker als Menschen ohne eigenen Migrationshintergrund dazu bereit, sich zu engagieren. Das ungenutzte Potenzial ist daher groß und wirft die Frage auf: Warum beteiligen sie sich seltener und wie können sie für bürgerschaftliches Engagement und Beteiligung vor Ort gewonnen werden?

Erklärungsansätze

Warum sind migrantische Perspektiven in vielen Beteiligungsprozessen unterrepräsentiert? Die Ursachen sind komplex und ebenso divers wie die Gruppe der Migrant*innen selbst. So können z. B. Sprachbarrieren Hemmnisse und nur schwer überwindbare Hürden darstellen. Auch die Erfahrung von Alltagsrassismus und Diskriminierung kann zur Folge haben, dass Menschen mit Migrationshintergrund weniger bereit sind, sich durch ehrenamtliches Engagement zu exponieren. Geflüchteten fehlt zudem oft eine Bleibeperspektive. Jenseits unmittelbarer Existenzsicherung sind die Voraussetzungen für Beteiligung im Hinblick auf Motivation und Kapazitäten dann denkbar ungünstig.

Teilhabe durch Freiwilligenarbeit

Die Freiwilligenarbeit in Augsburg wurde seit Beginn der 2000er Jahre maßgeblich durch das Bündnis für Augsburg koordiniert. Aufgrund des Stadtratsbeschlusses vom 20. Mai 2021 soll die Freiwilligenarbeit nun neu konzipiert werden. Bündnis für Augsburg und weitere Angebote werden in einen „Runden Tisch Bürgerschaftliches Engagement“ überführt – auch mit dem Ziel Beteiligungs- und Freiwilligenprojekte besser zu fördern und zu vernetzen. Dies ist ein Ansatzpunkt, um migrantische Beteiligung zu erhöhen, etwa durch Einbezug des ZAM (Zusammenschluss Augsburger Migranten(selbst)organisationen).

Augsburg als Modellkommune des Projekts „Be Part“

Augsburg ist zudem eine von zehn Modellkommunen des von der Bundesregierung geförderten Projekts „Be Part – Teilhabe beginnt vor Ort“, mit dem Methoden zur Förderung der Teilhabe von Menschen mit familiärer Einwanderungsgeschichte konzipiert und erprobt werden. Um das Interesse an Teilhabe zu wecken und eine dauerhafte Beteiligung an gesellschaftlich relevanten Gremien zu ermöglichen, werden Migrant*innenorganisationen, Bildungsträger und Gremien in den Modellkommunen für vielseitige Aktivitäten eingebunden. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass communityübergreifende Netzwerke wichtige Anker für langfristig erfolgreiches Engagement sind. Durch kommunale Vernetzungsworkshops und Bildungsangebote sollen die Projektteilnehmenden darin unterstützt werden, ihr Engagement zu verstetigen. In Augsburg leisten hierfür u. a. die alevitische Gemeinde mit dem Projekt „Vielfalt leben: Diversitätsorientierte Kompetenzentwicklung“ und der Integrationsbeirat mit dem Format „Hilfe, ich bin im Vorstand! Unterstützungsarbeit für ehrenamtliche Vorstandsarbeit“ wertvolle Beiträge.

Ausblick und Vision

Augsburg als Stadt, in der fast die Hälfte der Bevölkerung eine Migrationsgeschichte aufweist, ist aufgefordert, Beteiligungsstrukturen auf eine stärkere migrantische Beteiligung hin auszurichten. Der aktuell angestoßene Prozess muss als Chance verstanden werden. Wir benötigen eine Strategie, durch die Migranten(selbst)organisationen stärker in städtische Prozesse inkludiert und zu Akteuren der städtischen Bürger*innenbeteiligung aufgebaut werden. Vereine sollen perspektivisch in ihren Stadtquartieren zu Orten der Begegnung aller werden! Hier stellt sich jedoch schnell auch die Frage nach den praktischen Möglichkeiten solcher Vereine, funktionieren sie doch häufig ausschließlich ehrenamtlich und mit bescheidenen finanziellen Mitteln. Mit einer städtischen infrastrukturellen Förderung könnte die Basis für eine gute Beteiligung geschaffen werden.

Bereits etablierte städtische Strukturen hingegen sollten durch Organisationsentwicklung eigene Schritte der interkulturellen Öffnung gehen, um in der Stadtgesellschaft vorhandene Potenziale für sich zu gewinnen. Zwei Beispiele: VHS Augsburg und Tür an Tür arbeiten derzeit genau zu dieser Thematik. Das von Martina Wild geleitete Bildungs- und Migrationsreferat hat das von der EU geförderte Modellprojekt „Das inklusive WIR in Augsburg (DIWA)“ auf den Weg gebracht. Hier versucht die VHS, ehemalige Integrationskursteilnehmende als neue Dozent*innen zu gewinnen, während Tür an Tür türkisch- und russischsprachige Augsburger*innen zu Stadtführer*innen ausbildet, die diese Führungen dann in ihren Communities anbieten und dabei auch Verbindungen zur Geschichte der Herkunftsländer schaffen. Diese bemerkenswerten Ansätze tragen auch dazu bei, dem defizitorientierten Blick auf das Thema Migration ein Ende zu machen und in der Vielfalt nach Chancen für die eigene Arbeit Ausschau zu halten. Daran, die dafür benötigten konstruktiven Rahmenbedingungen zu schaffen, arbeiten wir als GRÜNE Fraktion im Augsburger Stadtrat mit Nachdruck.

 

Beteiligte Personen