von Verena von Mutius-Bartholy & Christine Kamm

Was macht nachhaltige und weitsichtige Bauplanung im Sinne des Klimaschutzes aus? Unsere Fraktionsvorsitzende und Sprecherin für Stadtplanung Verena von Mutius-Bartholy und unsere Sprecherin für Baupolitik Christine Kamm im Gespräch.

Verena von Mutius-Bartholy:
Christl, du bist ja schon sehr lange politisch und auch in den verschiedenen Umweltverbänden wie z.B. dem Bund Naturschutz aktiv. Oft wird Klimaschutz nur von Umwelt- oder Klimapolitiker*innen diskutiert. Wir GRÜNE fordern wie bei vielen Themen einen integrierten Ansatz. Wieso bist du der Überzeugung, dass du als baupolitische Sprecherin der neuen Stadtratsfraktion viel für den Klimaschutz erreichen kannst?

Christine Kamm:
Gut planen und bauen ist elementar, um unsere Klimaschutzziele erreichen zu können. Über gute Bebauungspläne erfolgen klimafreundliche Festsetzungen für die Kubatur und Ausrichtung der Gebäude, für passive solare Gewinne durch Südausrichtung, Verschattungsfreiheit und gute Grünflächen im Quartier. Durch die Anwendung des Planungsrechts kann die Zerstörung ökologisch sensibler Außenbereiche, wie etwa in Radegundis und Wellenburg verhindert werden. Neben der Verhinderung einer Bebauung im Naturschutzgebiet sind auch das flächensparende Bauen, flächeneffiziente Bebauungspläne und eine Verdichtung im Bestand wichtig. Nicht nachvollziehbar ist, dass die Bayerische Staatsregierung mit der Novelle der Bayerischen Bauordnung eine Verkürzung der Abstandsflächen auf 0,4 Hektar einführen will, was flächensparendes Bauen ermöglicht, hierbei aber Städte über 250.000 Einwohner*innen ausnehmen will. Warum sollen die Bürger*innen von Neusäß von der Verkürzung der Abstandsflächen profitieren, Augsburger*innen aber nicht? Unsere neuen Baugebiete und Haunstetten Südwest werden klimaneutral geplant und mit einer Kombination verschiedener erneuerbarer Energieträger im Quartier, wie Photovoltaik, Solarthermie und Wärmepumpen, soll in dem Viertel so viel Wärme erzeugt werden, wie gebraucht wird. Durch hohe Geschosszahlen kann in die Höhe statt in die Breite gebaut werden. Solarzellen auf den Dächern, wenn dies denn zulässig wäre.

Da bist du gefragt, Verena: Du bist in deinem Hauptjob – neben deiner Funktion als Fraktionsvorsitzende der neuen Stadtratsfraktion – als Juristin in der Münchner Stadtverwaltung tätig und kümmerst dich unter anderem um Bauplanungsthemen. Was ist aus deiner Sicht notwendig, damit wir zeitnah auch in Augsburg mehr Klimaschutzmaßnahmen umsetzen und z.B. eine Solarzellenpflicht erlassen können?

Verena von Mutius-Bartholy:
Es gibt sehr viele Punkte, die besser gesteuert werden müssen. In den Bebauungsplänen wird aktuell schon viel gemacht. Auch mit den städtebaulichen Verträgen, die in jedem Bauplanungsverfahren mit den Investoren geschlossen werden, können wir für den Klimaschutz aktiv werden. Mit dem im März 2020 kurz vor der Kommunalwahl gefassten Beschluss der Grundparameter für städtebauliche Verträge haben wir nicht nur 30 Prozent geförderten Wohnraum festgeschrieben, sondern z.B. festgehalten, dass 15 Prozent öffentliche Grünflächen bei neuen Planungsgebieten der Verhandlungsstartpunkt sind. Wenn wir einen Augsburger Energiestandard haben, können wir über diesen Weg die Investoren verpflichten, auch nach diesem zu bauen. Bei der Solarpflicht brauchen wir aber z.B. andere rechtliche Instrumente. Aktuell können wir von Seiten der Stadt nur ein Förderprogramm für Solarflächen anbieten und darauf achten, wenn die Stadtverwaltung oder ihre Töchter, wie die Wohnbaugruppe, selbst bauen. Wir brauchen aber eine Pflicht für Solaranlagen bei allen Neubauten und dazu muss die Bayerische Bauordnung endlich an die anderer Bundesländer angepasst werden.

Christine Kamm:
Viele Bürger*innen haben beim Bauen das Klima im Blick, aber kommen bei den aktuellen Immobilienpreisen nicht an Grundstücke, um ihre Ideen verwirklichen zu können. Im schwarz-grünen Zukunftsplan ist die sogenannte Konzeptvergabe für die gesamte Stadt als Ziel festgehalten und seit Anfang November gilt für die letzten Baufelder auf dem Sheridan-Areal: Die beste Idee gewinnt! Was ist damit gemeint?

Verena von Mutius-Bartholy:
Bei der Konzeptvergabe städtischer Grundstücke entscheidet nun das Konzept und nicht das höchste Gebot. Das Vergabeverfahren wird so gestaltet, dass gute Sozial- und Klimakonzepte sowie Innovationsfreudigkeit entscheidend für den Zuschlag eines Grundstücks werden. Die Konzeptvergabe ermöglicht deswegen eine Bebauung durch Baugruppen und Genossenschaften und schafft selbstbestimmte Wohnverhältnisse, passgenaue Wohnungen und sorgt für lebendige Quartiere. Die Beispiele aus München zeigen, wie kreativ und innovativ Genossenschaften aufgrund dieser Konzeptvergabe bauen können. So ist dort eine ökologische Mustersiedlung für Holzbauweise entstanden. Bauen mit Holz und nachwachsenden Rohstoffen gilt als wirtschaftlichste Vermeidungsstrategie für Treibhausgase. Damit mehr mit Holz gebaut wird, braucht die Holzbaubranche mehr Planungssicherheit. Über einen Bebauungsplan ist dies leider nicht möglich. Was können wir hier aus deiner Sicht noch machen, damit wir nachhaltig bauen?

Christine Kamm:
Auch die graue Energie, also der Energieaufwand für die Herstellung der Baustoffe, ist klimarelevant. Die Produktion von Ziegeln, Zement und Stahl für Gebäude verbraucht viel Energie. Daher muss das Recycling dieser Stoffe gefördert und, wo möglich, Bausubstanz umgenutzt werden. Wie siehst du das: Ist die Konzeptvergabe alles, was wir machen können, um auch Wohnen weiterhin erschwinglich zu halten, oder gibt es noch weitere Möglichkeiten?

 Verena von Mutius-Bartholy:
Um den Flächenverbrauch und die Kosten beim künftigen Wohnen spürbar zu senken, wollen wir GRÜNE ein modernes Stellplatzrecht, das alternative Mobilitätsformen stärker berücksichtigt. Bisher müssen nach der städtischen Stellplatzverordnung in Mehrfamilienhäusern pro Wohneinheit 1,1 Kfz-Stellplätze errichtet werden (wobei immer aufgerundet wird). Hier wollen wir viel stärker auf das Fahrrad setzen und versuchen, die Forderungen aus dem Radbegehren unabhängig davon umzusetzen, und Konzepte der Nahmobilität (z.B. multimodale Mobilitätsstandorte mit Fahrradleih und CarsharingStationen) stärker zu gewichten.

Wenn du mit dem Bund Naturschutz ökologische Ausgleichflächen pflegst und versuchst, Lebensraum für Tiere zu schaffen, fragst du dich dann nicht oft, wie wir gegen die Steingärten, Schottergärten und versiegelten Innenhöfe vorgehen können? Können wir hier mehr Lebensqualität schaffen und gegen die Erhitzung der Wohngebiete aktiv werden?

Christine Kamm:
Wir können neben dem Klimaschutz vor allem auch für den Artenschutz aktiv werden. Über eine Freiflächengestaltungssatzung wollen wir die Umwandlung von Grünflächen in Schotterflächen untersagen und für mehr Dach- und Fassadenbegrünung sorgen. Größere Flachdächer und Garagendächer sollen dauerhaft begrünt werden. Gleichzeitig sollen Einfriedungen offen, d.h. durchlässig für Insekten und Vögel, hergestellt werden. Hier erfolgt gerade die Abstimmung zwischen den verschiedenen Verwaltungseinheiten und wir sind zuversichtlich, dass wir im nächsten Jahr eine Freiflächengestaltungssatzung verabschieden können. Gibt es etwas, das wir hier aus deiner Sicht noch machen sollten?

 Verena von Mutius-Bartholy:
Für mich ist es immer wieder entscheidend, zu zeigen, dass wir gerade in der Stadtplanung die Entwicklungen der nächsten Jahr- zehnte im Blick haben müssen. Wir können hier so viel für den Klimaschutz erreichen. Dabei haben wir über die Grünplanung, die Anpassung des Flächennutzungsplans oder die Schwammstadt (Möglichkeiten zur Versickerung von Regenwasser) noch gar nicht gesprochen. Wir werden hier weiter aktiv sein und sind jederzeit offen für Ideen.

 

In: Stadtgrün 9: Klimaschutz Hier und Jetzt

Beteiligte Personen