Status: in Bearbeitung

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellt folgenden

Antrag:

(1) Der Augsburger Stadtrat spricht sich gegen Abschiebungen von im Verantwortungsbereich der Stadt Augsburg untergebrachten und lebenden Menschen nach Afghanistan aus. Er fordert die Regierung von Schwaben, den Freistaat Bayern und die Bundesregierung auf, keine Abschiebungen nach Afghanistan durchzuführen.

(2) Auf allen unter (1) genannten Ebenen, aber auch im Bayerischen und Deutschen Städtetag, setzt sich die Stadt Augsburg dafür ein, dass alle Geflüchteten, unabhängig vom erwarteten oder tatsächlichen Ausgang des Asylverfahrens, Zugang zu Integrationsleistungen, zu Sprachkursen, Praktika, Ausbildung und Arbeit haben.

(3) Die Stadt Augsburg setzt sich in Bayern für eine wohlwollende Umsetzung der „3 plus 2-Regelung“ ein, die zu Gunsten der Antragsstellenden und ihrer Arbeitgeber/-innen ausgelegt wird und Geflüchteten in Ausbildung und Ihren Arbeitgeber/-innen mehr Rechtssicherheit bietet.

Begründungen:

In Augsburg leben derzeit etwa 2360 Geflüchtete[1]. Viele von ihnen sind zwischen 2014 und 2016 nach Augsburg gekommen. Die Aufnahme, Versorgung und Betreuung von Geflüchteten durch gesellschaftliche und politische Akteure ist vielfach motiviert durch humanitäre, christliche oder sonstig moralisch begründete Motivation. Sie ist darüber hinaus aber auch eine rechtsverbindliche politische Aufgabe, die durch das Grundgesetz (Art. 16a) und die Genfer Flüchtlingskonvention begrü3-ndet ist. Eine globale Perspektive macht zudem deutlich, dass die Fluchtursachen nicht allein in den Herkunftsländern Geflüchteter begründet liegen. So stellt sich die Frage, inwiefern die Bundesrepublik ihrer konkreten Verantwortung gerecht werden kann. Eine Möglichkeit ist es, den von Unsicherheit geplagten Geflüchteten, in dem Land, in dem sie ankommen und in der Stadt, in der sie leben, Sicherheit zu geben. Der Bearbeitungsstau der Grenzbehörden, die 2015 und 2016 nicht mehr in der Lage waren, Geflüchtete sofort nach ihrer Ankunft zu registrieren, sowie der Bearbeitungsrückstau, der bereits vor 2015 bestand und sich dann aufgrund der personellen Unterbesetzung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) drastisch verschärfte, führt zu erheblichen Wartezeiten für Geflüchtete, die in der Regel Monate, oft auch Jahre auf die Bearbeitung ihres Asylantrags warten müssen. Die damit einhergehende ständige Angst und Unsicherheit hat verheerende psychosoziale Konsequenzen. Sie leben sich ein, sie leben hier in Augsburg und sie knüpfen Kontakte. Deshalb ist es wichtig, Geflüchteten unabhängig von ihrer asylrechtlichen Situation Sicherheit und eine Perspektive zu ermöglichen.

Zu (1)
Die Stadträte von München und Würzburg haben sich mehrheitlich gegen Abschiebungen nach Afghanistan ausgesprochen[2]. Die Aussetzung von Abschiebungen ist aus rechtlichen, ethischen und praktischen Gründen geboten, weshalb auch der Augsburger Stadtrat entsprechend Position beziehen sollte. Die Rückkehr der Geflüchteten nach Afghanistan ist in der jetzigen Situation allen vorliegenden Erkenntnissen nach unzumutbar, rechtswidrig und unethisch: Afghanistan ist gemäß § 29a AsylG kein „sicherer Herkunftsstaat“. Nach Einschätzung des UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern (Dezember 2016) ist „ein pauschalisierender Ansatz, der bestimmte Regionen hinsichtlich der Gefahr von Menschenrechtsverletzungen […] als sichere und zumutbare interne Schutzalternative ansieht, […] nicht möglich“.[3] UNHCR konstatiert eine Verschlechterung der Sicherheitslage. Es heißt es in dem Bericht unter anderem: „Die Konfliktparteien ergreifen keine ausreichenden Maßnahmen, um Zusammenstöße und zivile Opfer zu minimieren […].“[4] Der Druck, mit dem unter anderem afghanische Geflüchtete zur „freiwilligen“ Ausreise gedrängt werden, hat traurige und skandalöse Konsequenzen zur Folge, wie die schweren Verletzungen, die Abdul Razaq Saber, der in Höchstädt wohnte, beim Anschlag am 31. Mai 2017 in Kabul erlitt.[5] Wer übernimmt dafür und für weiteres, ähnliches oder gar noch schlimmeres Leid von Afghanen, die in Deutschland und Augsburg Sicherheit suchten, die Verantwortung? Auch wenn die Stadt Augsburg eine beschränkte rechtliche Handhabe über Asylentscheide und Abschiebungsanordnungen und -durchführungen bzgl. Afghanistan hat, so bedarf es eines zumindest politischen Zeichens der Stadt gegen Abschiebungen.

Zu (2)
Die bereits thematisierten langen Wartezeiten vor und während des Asylverfahrens machen den Zugang zu Integrationsleistungen wie Sprachkursen und Förderinstrumenten der Arbeitsverwaltung sowie Zugänge zu Praktika, Ausbildung und Arbeit unabdingbar. „Berufliche Integration ist die Kerndimension gesellschaftlicher Teilhabe.“ (Bandorski, Sonja (2013): Integration in unsichere Verhältnisse? Berufliche Integration im Einwanderungsland Deutschland, Waxmann: Münster u.a., S. 13) Nur wer die Sprache lernen darf, wer gefördert wird, wer vom Alltagsleben nicht ausgeschlossen wird, kann an der Gesellschaft teilhaben und ein selbstbestimmtes Leben aufbauen. Die Arbeitsverwaltungen haben zum Ziel, ihre Kund/-innen in Arbeit zu integrieren. Die Soziale Arbeit hat zum Ziel, Menschen zu einem selbstbestimmten Leben zu befähigen. Wenn diese grundlegenden Ziele, die für den sozialen Frieden in einer Gesellschaft unabdingbar sind, bundes- und landespolitisch durch Ausschlussprinzipien torpediert werden, dann braucht es auf lokaler Ebene Initiativen, um eine win-win-Situation für alle herzustellen. In Betracht kommen u.a. (a) Sprachkurse für Asylbewerber/-innen, die von regelfinanzierten Sprachkursen ausgeschlossen werden, (b) die Einflussnahme auf die Agentur für Arbeit Augsburg, beispielsweise ausbildungsbegleitende Hilfen auch Menschen aus Nigeria, Pakistan, Afghanistan u.a. zu ermöglichen (die Bundesagentur für Arbeit sieht für Ausbildungsförderungsinstrumente lediglich Geflüchtete aus Eritrea, Irak, Iran, Somalia und Syrien vor), (c) die Einflussnahme auf die Ausländerbehörde, ihren Ermessensspielraum bei der Erteilung von Arbeitserlaubnisanträgen (für Praktika, Ausbildung, Beschäftigung) großzügig auszulegen.

Zu (3)
Eng verknüpft mit der vorangegangenen Forderung, Geflüchtete nicht von Integrationsmöglichkeiten auszuschließen, ist die Forderung, die Anwendung der Ausbildungsduldung (sogenannte 3 plus 2-Regelung) zu Gunsten Geflüchteter zu praktizieren. Das Bundesintegrationsgesetz vom 6. August 2016 sieht vor, Geduldeten, die in Ausbildung sind, auf Antrag eine Ausbildungsduldung zu erteilen. Diese garantiert, dass die Ausbildung beendet werden darf. Im Anschluss erhalten die Personen einen Aufenthaltstitel nach § 18a AufenthG, um noch zwei Jahre in einer ihrer erworbenen Qualifikation entsprechenden Beschäftigung arbeiten zu können. Davon profitieren in besonderem Maße auch die Betriebe, die zum einen die Sicherheit erhalten, dass ihre Azubis nicht während der Ausbildung abgeschoben werden oder ein Arbeitsverbot erhalten, und für die sich zum anderen die Investition in den Azubi durch seine anschließende Beschäftigung im Betrieb zusätzlich lohnt. Wirtschaftsverbände und Kammern sprechen sich dementsprechend für eine wohlwollende Auslegung der Ausbildungsduldung aus. Das bayerische Staatsministerium des Innern (StMI) versucht hingegen die Ausbildungsduldung durch Weisungen an die Ausländerbehörden so weit wie möglich zu verhindern. Dies führt soweit, dass Beschäftigungserlaubnisse bereits während des Asylverfahrens versagt werden, um etwaige künftige Ausbildungsduldungen prophylaktisch zu verhindern. Das StMI knüpft die Erteilung einer Beschäftigung- und Ausbildungsduldung an die Klärung der Identität, was für Geflüchtete oft ein schwieriges oder zumindest langwieriges Unterfangen ist. Zu dieser Situation stellt die IHK Bayern fest: „Der uneinheitliche Verwaltungsvollzug im Freistaat zermürbt Ausbildungsbetriebe, Flüchtlinge und Helferkreise.“[6] Möglich wird die restriktive Auslegung in Bayern durch den vagen Gesetzeswortlaut, den die Bundesregierung vorgegeben hat. So findet die Ausbildungsduldung in den Bundesländern vollkommen unterschiedlich Anwendung. Die Ausländerbehörden haben jedoch einen relativ großen Ermessensspielraum.

So ist die Auslegung des Gesetzes auch innerhalb Bayerns höchst unterschiedlich. Um Geflüchteten und Betrieben, die Sicherheit zu geben, die für einen Ausbildungsprozess notwendig ist, und damit auch die lokale Wirtschaft zu unterstützen, bedarf es einer deutlichen Positionierung.

Mit freundlichen Grüßen

Martina Wild                    Stephanie Schuhknecht          Cemal Bozoğlu

Fraktionsvorsitzende   Stv. Fraktionsvorsitzende       Stv. Fraktionsvorsitzender

[1] https://www.augsburg.de/umwelt-soziales/asyl-in-augsburg/zahlen-fakten/

[2] http://www.br.de/nachrichten/unterfranken/inhalt/wuerzburg-stadtrat-resolution-fluechtlinge-100.html

[3] https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/2015/12/2017-Bericht-UNHCR-Afghanistan.pdf

[4] Ebenda

[5] http://www.augsburger-allgemeine.de/wertingen/Hallo-ich-lebe-noch-id41883321.html 4

[6] https://www.bihk.de/bihk/bihk/Nachrichten/Presse/3-2-modell-10.2.2017-.html

Beteiligte Personen