Was bedeutet die Bezahlkarte im Konkreten? 

Wer in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat und sich seinen Lebensunterhalt nicht selbst sichern kann, weil ihr*ihm der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt ist, hat Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das kann in Form von Sachleistungen, Bargeld oder auch Wertgutscheinen geschehen. Künftig soll es noch eine weitere Möglichkeit geben: die Bezahlkarte. Auf sie kann die Geldsumme, die Geflüchteten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zusteht, als Guthaben gebucht werden. 

Kommunen – und damit auch Augsburg – sind gesetzlich dazu verpflichtet, das Existenzminimum sicherzustellen, aber nicht, dies über eine Bezahlkarte zu tun. Überweisungen sind mit der Bezahlkarte nicht möglich. 

 

Wie kam die Entscheidung zustande? 

Auf Verlangen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und einiger Bundesländer hat sich der Bundestag im Februar 2024 mit der Einführung einer Bezahlkarte für Asylsuchende befasst. Grund dafür waren Diskussionen über sogenannte Pull-Faktoren* und eine Entlastung der Kommunen. Attraktive Bedingungen eines Aufnahmelandes, die zu Immigration anreizen, bezeichnet man als „Pull-Faktoren“. Diese Theorie wird allerdings immer und immer wieder als Rechtfertigung für menschenverachtende Entscheidungen im Migrationskontext verwendet und gitl unter Migrationsexpert*innen als längst überholt. Warum Menschen migrieren und wohin, ist höchst komplex und hat meist mit Krieg, politischer Verfolgung, Hunger, völliger Perspektivlosigkeit etc. zu tun. Was Studien eher belegen ist, dass sich Menschen eher daran orientieren, wo sie schon jemanden kennen. 

Vor allem die GRÜNEN haben darauf hingewirkt, dass die Gesetzesformulierung und konkrete Umsetzung aber noch im Detail geändert wurde, damit Geflüchtete weiterhin ihre Bedarfe decken können und soziale sowie kulturelle Teilhabe möglich ist. 

 

Wer entscheidet über die Einführung einer Bezahlkarte und die genauen Regelungen?

Die Entscheidung, ob es eine Bezahlkarte geben soll, und wie streng bzw. großzügig die Regelung zum Einsatz, Bargeldbezug usw. sind, treffen die Bundesländer. In diesem Fall also die bayerische Staatsregierung, die von CSU und Freie Wählern gestellt wird. Nach deren Grundsatzentscheidung geht es nur noch darum, ab wann die Bezahlkarte in den Städten und Gemeinden eingeführt wird, nicht mehr um das Ob.

 

Was ist zur Bezahlkarte für Augsburg geplant? 

Die bayernweite Einführung ist in mehreren Umsetzungsrunden vorgesehen. Die Stadt Augsburg hat sich Ende März 2024 bereits für die zweite Runde gemeldet. In der KW 15 soll mit den ersten Schulungen der Mitarbeitenden begonnen werden. 

 

Wie haben sich die GRÜNEN im Stadtrat zur Bezahlkarte verhalten?

Die Entscheidung, wann die Bezahlkarte eingeführt wird, wurde den Fraktionen nur mitgeteilt. Diese Angelegenheit liegt im sogenannten übertragenen Wirkungskreis (§ 58 der Gemeindeordnung). Das heißt, die Stadtverwaltung (hier das Sozialreferat) agiert hier als staatliche Behörde und führt Beschlüsse des Bundes- und Landesgesetzgebers ohne Beteiligung des Stadtrats und seiner Ausschüsse aus. Eine Einwirkungsmöglichkeit hinsichtlich des Einführungszeitraums hatte die GRÜNE Stadtratsfraktion nicht! Eine spätere Einführung hätte aus unserer Sicht deutliche Vorteile gehabt. Unsere Stadtverwaltung hätte mit großer Wahrscheinlichkeit weitaus weniger mit “Kinderkrankheiten” dieses neuen Systems zu tun gehabt, hätte sich besser darauf vorbereiten können und hätte zuletzt auch die Mehrzeit nutzen können, um die Einführung mit den politischen Fraktionen abzustimmen sowie auch mit Organisationen, die mit geflüchteten Menschen zusammenarbeiten, zu beraten. Somit erachten wir diese vorschnelle Einführung als einen Fehler, welcher zudem auch kein gutes Signal gegenüber den Betroffenen aussendet. 

 

Was für offene Fragen sind noch zu klären?

  • Reichen die Bargeldabhebungen für Schul-, Kopiergeld, Ausflugskosten, Pausenessen etc? 
  • Wie viele und welche Geschäfte nehmen am Programm teil – auch im ländlichen Bereich? Werden Geschäfte mit landestypischen Nahrungsmitteln und Bäckereien am Programm teilnehmen?
  • Ist das Bezahlen mit der Bezahlkarte auch im Bürgeramt (z.B. Passformalitäten etc.), bei Rechtsanwält*innen, beim Arzt, in der Apotheke und bei Abschluss eines Abos (z.B. ÖPNV, Handy etc.) möglich? 
  • Wie ist das Einkaufen auf Flohmärkten und in den Sozialkaufhäusern, in denen nur Barzahlung möglich ist, zukünftig möglich? 
  • Wie konkret kann noch ‚Einfluss‘ auf die Ausgestaltung der Bezahlkarte genommen werden, um evtl. Schwachstellen noch zu melden? 

 

Warum sehen wir die Bezahlkarte kritisch? 

Die Umsetzung einer Bezahlkarte sehen wir aus folgenden Gründen kritisch: 

  • Die Verbände und Organisationen in Augsburg, die im Geflüchteten-Kontext arbeiten, wurden im Vorfeld nicht einbezogen. 
  • Die Bezahlkarte erhöht das Stigma der Geflüchteten weiter. Bei jedem Bezahlvorgang wird sichtbar, dass sie Geflüchtete im Asylverfahren oder mit Duldung sind. 
  • Die Bezahlkarte nimmt den Geflüchteten das Recht auf Selbstbestimmung. Sie können nur mit Einschränkungen selbst entscheiden, wo sie ihr Geld ausgeben. Viele Geflüchtete kaufen z.B. in Sozialkaufhäusern ein, was mit der Bezahlkarte nicht mehr möglich sein wird. 
  • Die Bezahlkarte ist regional beschränkt. Somit wird der Bewegungsradius von Asylbewerber*innen stark eingeschränkt – eine Residenzpflicht durch die Hintertür!
  • Die Behauptung, dass die Einführung einer Bezahlkarte dem Bürokratieabbau und der allgemeinen Entlastung der Verwaltung dienen, wurde über eine Anfrage der Grünen in Berlin widerlegt. Mit zunehmenden Einschränkungen steigen die Kosten und der Aufwand für die jeweiligen Behörden und Kommen. 
  • Die Behauptung, dass mit der Bezahlkarte vermeintlich Migrationsreize gesenkt werden, ist längst wissenschaftlich widerlegt, zuletzt durch die Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI). Sie zeigt eindeutig: Nicht Asylleistungen bringen die Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen, sondern Kriege, Klima, Hunger, Perspektivlosigkeit und andere Nöte. Die Leistungen, die Asybewerber*innen in Deutschland erhalten, decken gerade mal das Existenzminimum ab. 
  • Der vorrangig kommunizierte Grund der Befürworter*innen der Bezahlkarte, nämlich, dass der Geldfluss in die Heimatländer damit unterbrochen wird, halten wir für falsch. Im Gespräch mit vielen Geflüchteten und Organisationen aus dem Geflüchteten-Bereich stellt sich heraus, dass der Druck, den Familien im Herkunftsland finanzielle Unterstützung zu schicken, sehr hoch ist. Deshalb gehen wir davon aus, dass alternative Wege dafür gefunden werden. 
  • Die datenschutzrechtlichen Probleme sind noch ungeklärt. 

 

Uns ist es wichtig, dass Menschen, die in Deutschland Zuflucht suchen, ihre Bedarfe decken können, selbstbestimmt über das Geld verfügen können und dass ihnen soziale Teilhabe möglich ist. Sie dürfen durch die Bezahlkarte keinesfalls benachteiligt oder diskriminiert werden. Stattdessen sollte ihr Zugang zum Arbeitsmarkt verbessert werden, um ihre Integration zu fördern. 

Wir sehen viele Fragen (siehe oben) noch ungeklärt und halten eine Evaluation und eine Nachjustierung für notwendig. Deshalb werden wir weiterhin mit den Geflüchteten-Organisationen im Austausch bleiben und im Rahmen unserer politischen Möglichkeiten versuchen, nachzusteuern.