von Franziska Wörz

Augsburger Aktivist*innen errichteten im Juli 2020 das erste Klimacamp Deutschlands. Seitdem entstanden viele weitere Camps in Deutschland, doch nur in wenigen Städten stehen sie über einen so langen Zeitraum an einem so zentralen Ort – direkt neben dem Rathaus. Die grüne Stadträtin Franziska Wörz ist seit Beginn an aktiver Teil des Augsburger Camps. Für das Interview traf sie Gründungsmitglied Ingo Blechschmidt Ende Oktober 2020.

Franziska Wörz (FW): Hallo Ingo! Du bist Teil des ersten Klimacamps in Deutschland, hier in Augsburg. Wie kam es zur Entstehung des Klimacamps?

Ingo Blechschmidt (IB): Das Klimacamp ist aus Verzweiflung entstanden. Wir wussten, dass die Abstimmung über das Kohleeinstiegsgesetz im Bundestag anstand. Mit diesem Gesetz kann Deutschland nicht das Pariser Klimaabkommen, das 1,5°-Ziel, einhalten. Deshalb wollten wir noch eine Aktion machen. Die Fridays-For-Future- Demozüge haben viel im gesellschaftlichen Diskurs geändert, aber nichts, wenn man sich konkrete Beschlusslagen anschaut. So kam die Idee, eine Mahnwache mit offenem Ende anzumelden. Wir dachten, es würden zehn Leute kommen und wir bleiben zwei Tage, aber es kamen 68 Menschen. 120 Tage später sind wir immer noch hier.

FW: Warum ist gerade jetzt der Zeitpunkt für ein Klimacamp?

IB: Es ist jetzt die richtige Zeit, weil sich die Situation immer weiter zuspitzt. Wir haben immer weniger Zeit, um die Auslösung der Kippelemente zu verhindern und gleichzeitig versagt die Klimapolitik immer mehr. Das sieht man beim Kohleausstiegsgesetz, wie auch bei der bayerischen Landesregierung mit dem „Klimagesetzchen“ von Herrn Söder, was von allen Seiten zu Recht kritisiert wird. Auch an der Stadtregierung in Augsburg, die plant, gegen das Pariser Klimaabkommen zu verstoßen, indem sie zulässt, dass mehr CO2-Emissionen ausgestoßen werden, als uns zustehen.

FW: Welche konkreten Forderungen habt ihr an die Stadt Augsburg?

IB: Sie soll ihr CO2-Budget klar benennen. Es sollte nicht unsere Aufgabe sein, den Koalitionsvertrag zu durchforsten, um ihn dann in Tonnen umzurechnen. Zweitens soll die Stadt angeben, mit welchem Recht sie eine Überschreitung des Budgets für angemessen hält. Und natürlich unsere Hauptforderung, von der sich alle weiteren Forderungen ableiten: Das Budget, das sich die Stadt Augsburg setzt, muss Paris-kompatibel sein.

FW: Kannst du die von euch erstellte Grafik erklären?

IB: In der Grafik sieht man, wie viel CO2 Augsburg noch zu emittieren gedenkt. Bis 2030 gibt es das Ziel des Klimabündnisses, in dem Augsburg seit vielen Jahren ist: Eine Halbierung der Emissionen pro Person bezüglich 1990. Im Koalitionsvertrag steht, dass Augsburg bis 2050 klimaneutral werden soll. Das kann man umrechnen und so sehen, dass Augsburg 34 Mio. Tonnen zu emittieren gedenkt. Was ebenfalls in der Grafik zu sehen ist, sind die 11 Mio. Tonnen, die Augsburg noch zustehen, wenn man das Weltbudget an CO2 auf Einwohner*innen umrechnet. Das ist eine einfache Rechnung, der man vorwerfen kann, dass sie die Augsburger Industrie nicht berücksichtigt. Durch die Anfertigung von Gütern für andere Städte sollte Augsburg also mehr Budget zustehen als Städten, die keine Industrie haben und somit importieren. Leider liegen uns für Augsburg keine Zahlen vor, um dies in die Berechnung einfließen zu lassen. Jedoch gibt es Zahlen für das deutsche CO2-Budget. Nach dieser Rechnung darf Deutschland noch weniger CO2 ausstoßen. Wir gelten zwar als Exportweltmeister, aber importieren auch Rohstoffe, die in ihrer Herstellung CO2-intensiv sind. Weitere fundamentale Kritik an dieser Rechnung ist, dass wir 2020 willkürlich als Anfangsmaßstab gesetzt haben. Das ist nicht fair! Deutschland und damit Augsburg emittieren seit viel längerer Zeit CO2 in die Atmosphäre. Bei Fokussierung auf die Gesamtemissionen wird schnell klar, dass Deutschland sein Budget vor vielen Jahren aufgebraucht hat. Eigentlich müsste unsere Forderung sein: 0 Mio. Tonnen ab jetzt. Oder noch ehrlicher: Minustonnen! Das ist eine Forderung, die nicht praxistauglich ist und die dazu einladen würde, in eine Schockstarre zu verfallen. Nach dem Motto „Wir haben es schon verfehlt, dann müssen wir auch jetzt nicht mehr aufpassen“. Das CO2-Budget wird nach jetzigem Stand schon nach fünf Jahren, also in dieser Legislaturperiode, aufgebraucht sein. Eine weitere interessante Rechnung: Seit Beginn des Klimacamps am 1. Juli sind schon fünf Prozent des Budgets aufgebraucht worden.

FW: Welche Maßnahmen muss Augsburg zur Einhaltung des 1,5° C-Ziels aus deiner Sicht ergreifen?

IB: Beispielsweise können wir endlich zur Fahrradstadt werden, wie es der Stadtrat 2012 einstimmig beschlossen hat. Wir können auf städtischen Gebäuden Solarzellen errichten. Außerdem gibt es eine ganze Reihe an „0-Euro-Maßnahmen“. Zum Beispiel könnte die Stadt ein Plädoyer an die Bundesregierung verfassen. Denn es ist auch klar, keine größere Kommune kann 1,5°-kompatibel werden, wenn es nicht erhebliche Unterstützung vom Bund gibt. Einerseits durch Fördermittel, wie für den Nahverkehr, noch wichtiger eine CO2-Bepreisung, eine effektive und gerechte CO2-Steuer, um langfristig ein Umdenken in der Wirtschaft hinzubekommen. Wir sind keine Klima- oder Verkehrsexpert*innen. Wir sehen es ein, dass es „nur“ Vorschläge sind, doch wir glauben, dass sie Hand und Fuß haben, weil wir sie mit Expert*innen erarbeitet haben. Wenn die Stadt andere Vorschläge hat, auf gerechte Weise die 1,5° einzuhalten, ist uns das auch recht.

FW: Wie schätzt ihr die Resonanz der Augsburger*innen ein?

IB: Überwiegend sehr positiv. Das ist kein Bauchgefühl, wir machen das an den Reaktionen der Passant*innen fest. Wir haben täglich zwei bis drei Personen, die kritisch eingestellt sind oder uns anpöbeln beziehungsweise sogar Gewalt androhen. Doch wir haben auch jeden Tag 20 bis 30 Personen, die uns Durchhaltevermögen wünschen, Anteil nehmen an der jetzigen Kälte und die für das Camp spenden. Ich glaube, wir haben da einen Nerv getroffen und sind auf dem richtigen Weg, denn wir haben den Zuspruch der meisten Passant*innen.

FW: Du hast die kalte Jahreszeit schon angesprochen – wie geht es jetzt weiter mit dem Klimacamp?

IB: Das entscheiden wir basisdemokratisch in unserem Plenum. Zunächst geht es unverändert weiter. Unser Traum ist es, schon heute einzupacken. Das geht momentan aber nicht, denn die Stadt geht nicht auf uns zu, es gab keine Gespräche mit der Stadt als Ganzes. Die guten Vorschläge der Opposition wurden nicht behandelt. Uns bleibt keine Wahl, als weiter Druck auszuüben. Mit Sorge beobachten wir die andere momentane Krise, die Corona-Krise. Das wird uns einiges abverlangen. Momentan glauben wir, dass es weiterhin verantwortlich ist, das Camp mit unserem strikten Hygienekonzept aufrechtzuerhalten. Seit Beginn gibt es „coronamäßig“ kaum sicherere Orte in Augsburg als das Klimacamp. Wir achten andauernd auf großen Abstand und die Maskenpflicht. FW: Vielen Dank!

 

CO 2 -BUDGETS

  • Die Weltgemeinschaft hat ein CO2Emissionsbudget von 420 Gigatonnen, um zu 67 Prozent unter einer Erwärmung von 1,5° zu bleiben (IPPC- Sonderbericht von 2018)
  • Deutschland hat einen Anteil von 1,1 Prozent an der Weltbevölkerung – Deutschland standen Anfang 2018 4,6 Gigatonnen zu
  • 2018 und 2019 hat Deutschland jährlich 0,8 Gigatonnen emittiert – 2020 stehen Deutschland noch etwa 3 Gigatonnen zu
  • 0,36 Prozent der deutschen Bevölkerung (300.000) lebt in Augsburg – Rest- CO 2-Budget von 0,0108 Gigatonnen = 11 Mio. Tonnen für Augsburg

 

In: Stadtgrün 9: Klimaschutz Hier und Jetzt

Beteiligte Personen