Mobilitätspolitik zeichnet sich durch einige Besonderheiten aus. Daher gelten dort auch spezifische Erfolgsbedingungen für die Beteiligung von Bürger*innen.

Über die Erfolgsbedingungen für gelingende Bürger*innenbeteiligung im Mobilitätsbereich sprechen Claudia Resenberger, Geografin und Fraktionsreferentin für Baupolitik, und Dr. Deniz Anan.

Claudia Resenberger (CR): Bürger*innenbeteiligung und Mobilität – warum ist das keine leichte Aufgabe?

Dr. Deniz Anan (DA): Auch der Mobilitätsbereich kann natürlich enorm von Input aus der Bürgerschaft profitieren. Allerdings muss man mehrere Faktoren im Blick haben: Erstens ist die Aufteilung des Straßenraums auf die verschiedenen Verkehrsarten von Haus aus keine einfache Aufgabe – zumal wenn der Platz so begrenzt ist wie in unserer 2000 Jahre alten Stadt. Wenn dann die Bürgerinnen und Bürger mitreden, wird es noch komplizierter. Zweitens kann man im Verkehrsbereich nicht jede*n zufriedenstellen. Autofahrer*innen, Fahrradfahrer*innen, Fußgänger*innen, Benutzer*innen von Bus und Bahn, Kinder, Erwachsene, Ältere, Auswärtige, Wohnbevölkerung – alle Interessen bekommt man einfach nicht unter einen Hut, irgendwo müssen immer Abstriche gemacht werden. Diejenigen, die sich dann umstellen müssen – weil sie z. B. keinen Parkplatz vor dem Haus mehr bekommen – finden das verständlicherweise erstmal nicht so toll. Drittens muss die Stadtpolitik den Spielraum beachten, den Bundes- und Landesrecht – und die Haushaltslage – ihr lassen. Viele Wünsche sind gar nicht realisierbar. Und schließlich muss man ALLE Interessen in Erfahrung bringen und berücksichtigen, auch die von denen, die erst einmal nicht ihre Stimme erheben.

CR: Sollte man es dann lieber gleich bleiben lassen und der Einfachheit halber die Bürgerschaft vor vollendete Tatsachen stellen?

DA: Nein, so leicht wollen wir GRÜNEN es uns natürlich nicht machen! Gerade in Augsburg haben wir ja auch schon einige Erfahrung mit unterschiedlichen Beteiligungsformaten gemacht. Ich erinnere an das Forum Innenstadt, die Planungswerkstatt Textilviertel oder den Bürgerworkshop „Go West!“. Wichtig ist, Beteiligung systematisch und mit Bedacht anzugehen.

CR: Was heißt das konkret?

DA: Erst einmal muss man die Menschen früh darauf aufmerksam machen, dass an einer Stelle Änderungen geplant sind, um niemanden zu überrumpeln oder zu vergessen. Denn wenn Bürger*innen erst dann ins Spiel kommen, wenn Projekte schon recht weit fortgeschritten sind, ist es schwieriger, weitreichende Änderungsvorschläge aufzugreifen. Gar nicht so leicht in Zeiten, in denen sich längst nicht mehr alle mit der Tagespresse über das Geschehen vor Ort informieren.

CR: Wie kann man dann vorgehen?

DA: Unsere Fraktion und auch die Stadt selbst bedienen inzwischen mit viel Aufwand unterschiedlichste Kanäle der sozialen Medien. Eine gute Idee wäre zudem eine „Vorhabenliste”, welche alle angedachten Maßnahmen in der Stadt auflistet. Und natürlich ist das Verbände- und Vereinsumfeld vor Ort einzubinden. Doch auch die Bürger*innen selbst sind gefordert: Wer zum Beispiel Mitglied in einer Bürgerinitiative ist, bekommt mehr mit und kann auch mehr mitgestalten.

CR: Ein Perfektionsideal ist im Mobilitätsbereich also falsch. Wie geht man besser vor?

DA: Man probiert etwas aus und schaut dann, wie es bei den Menschen ankommt. Gegebenenfalls steuert man nach oder man versucht unterschiedliche Dinge. Auch hier sind Beteiligungsformate wichtig. Bei baulich sehr weitreichenden Vorhaben geht das natürlich nicht. Aber Radwege, wie in der Herman- und der Frölichstraße, kann man durchaus erstmal erproben, bevor man sie dauerhaft einrichtet. Auch bei der autofreien Maximilianstraße will unsere schwarz-grüne Koalition so vorangehen.

CR: Welche Rolle spiele technische Mittel?

DA: Aus meiner Sicht eine sehr große. So kann man geplante neue Schienen vorab farbig markieren. Das hat man vor vielen Jahren einmal am Königsplatz gemacht. Die Digitalisierung erlaubt es, detaillierte Pläne vorab im Internet einzusehen. Dann muss zum Beispiel niemand mehr zum Amt, um Unterlagen einzusehen. Perspektivisch kann ich mir sogar noch mehr vorstellen, zum Beispiel dreidimensionale digitale Modelle.

CR: Es bleibt das Problem, eine Breite in der Beteiligung sicherzustellen …

DA: Ganz genau! Wenn Parkplätze wegfallen sollen oder eine neue Straßenbahnlinie geplant ist, ist es so: Der Einzelhandel ist sofort alarmiert und auch Vereine, Initiativen und die Ortsverbände der Parteien melden sich schnell zu Wort. In dem Gebiet leben aber auch Alleinerziehende, Arbeitnehmer*innen aus dem EU-Ausland oder Geflüchtete. Die gehen häufig zu keiner Bürgerversammlung und schreiben auch keinen Leserbrief. Doch auch sie sind betroffen und sehr oft würden sie von breiteren Fußwegen, mehr Spielflächen oder einer besseren Straßenbahnanbindung persönlich profitieren.

CR: Wie kann man diese Menschen einbinden?

DA: Das ist gar nicht so einfach. Online-Beteiligung kann eine Antwort sein oder auch die Konsultation von Bürger*innen nach dem Losverfahren. Eine gute Idee ist zudem die Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure – also zum Beispiel von Tür an Tür oder dem Kinderschutzbund, im Sinne von „Advocacy”. Daher ist es großartig, dass wir in Augsburg seit zwei Jahren einen Mobilitätsbeirat haben, in dem auch die vertreten sind, die sich für nachhaltige Mobilität engagieren.

CR: Aber neben den Instrumenten ist doch auch das grundlegende Ziel der Verkehrspolitikum umstritten, oder?

DA: Ja. Grob gesagt gibt es zwei Perspektiven. Für die einen ist Autoverkehr der Normalfall und alles andere eine Nische, etwa für Kinder, Jugendliche oder Senior*innen. Für die anderen stellen Fußverkehr, Fahrrad, Bus und Bahn die Normalität dar und Auto fahren die, die es unbedingt müssen. Je mehr Menschen die zweite Perspektive einnehmen – was wir GRÜNEN uns alleine schon mit Blick auf das Klima natürlich sehr wünschen – umso einfacher wird es, im Rahmen von Beteiligungsformaten die Menschen für die dringend notwendige Mobilitätswende zu begeistern.

 

 

 

Beteiligte Personen