von Claudia Roth

Durch die globale Erwärmung werden manche Regionen künftig nicht mehr bewohnbar sein, die heute dort lebenden Menschen werden zur Flucht gezwungen. Als Hauptmitverursacher des Klimawandels liegt es in unserer Verantwortung, ihn selbst sowie durch ihn verursachte Schäden und Lasten zu vermeiden bzw. fair auszugleichen.

Eine Frage globaler Gerechtigkeit

Mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens im Jahr 2015 und der Verabschiedung des Regelbuches in Kattowitz hat die Staatengemeinschaft die Klimakrise als gemeinsame, globale Herausforderung anerkannt und sich darauf verständigt, die Erderwärmung auf unter 2° C und möglichst unter 1,5° C bis zum Jahr 2100 zu beschränken. Expert*innen zufolge befindet sich die Weltgemeinschaft momentan auf dem Weg hin zu einer Erderwärmung von mindestens 3,2° gegenüber vorindustrieller Zeit. Zahlreiche Schätzungen liegen deutlich höher. Bereits 2° C Erderwärmung würden derweil ausreichen, um ganze Staaten wie das im Pazifik liegende Tuvalu komplett unter dem Meeresspiegel verschwinden zu lassen. Nicht nur Inselstaaten sind betroffen: Eine Studie von Climate Central kommt zu dem Ergebnis, dass durch den Anstieg des Meeresspiegels verschiedene Küsten-Megacities wie Bangkok, Shanghai, Mumbai oder Alexandria unbewohnbar würden. Rund 150 Millionen Menschen leben heute auf Land, das bis Mitte des Jahrhunderts unter der Hochwasserlinie liegen könnte. Und selbst, wenn es uns gelingt, stärker gegenzusteuern, sind schon jetzt gravierende Auswirkungen nicht mehr aufzuhalten: Manche Inselstaaten werden im Meer versinken, während andernorts die Böden versalzen und nicht mehr genug Wasser zur Verfügung steht. Bereits jetzt wissen wir, dass manche Regionen zukünftig nicht mehr bewohnbar sein werden.

Verantwortung der Industrienationen

Während viele Industrienationen einen gravierenden Anteil an den Emissionen haben, treffen die Folgen den globalen Süden mit am stärksten. Hier aber reichen die aktuellen Mittel nicht aus, um nötige Maßnahmen zum Resilienzaufbau und zur Anpassung an den Klimawandel zu treffen. Konkret bedeutet das, dass mit entsprechender Unterstützung die Menschen gar nicht fliehen oder migrieren müssen, sondern weiterhin in ihrer Heimat leben können. Unsere Entwicklungshilfe müsste aber die betroffenen Länder noch viel stärker unterstützen, denn Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel sind auch explizite Maßnahmen zur Prävention und Reduktion klimabedingter Migration und Vertreibung. Als – historisch wie aktuell – Hauptmitverursacher der Erderwärmung und als weltweit einflussreiche Multiplikatoren kommt es vor diesem Hintergrund ganz entscheidend auf Deutschland und die Europäische Union an. Vor diesem Hintergrund fordern wir GRÜNE im Deutschen Bundestag einen globalen Verursacherfonds zur fairen Lastenverteilung zum Ausgleich von Schäden und Verlusten – zum Beispiel auch bei Umsiedlungen im Rahmen klimabedingter Migrationsbewegungen oder beim Wiederaufbau nach Extremwetterereignissen.

Völkerrechtliche Schutzlücke

Doch was soll aus jenen werden, die sicher ihre Heimat verlassen müssen, da sie aufgrund der Erderwärmung unbewohnbar geworden ist? Das Problem lässt sich weder mit höheren Zäunen noch mit verschärften Einwanderungsgesetzen beheben. Die Klimakrise ernst zu nehmen bedeutet auch, für die Sorge zu tragen, die ihre Heimat verlieren werden und schon jetzt Konzepte für diese Menschen zu erarbeiten. Schon heute trägt die Klimakrise dazu bei, dass die Konkurrenz um knappe Ressourcen zunimmt, bestehende Konflikte befeuert oder neue ausgelöst werden. Im Einzelfall können dadurch Situationen entstehen, die einer Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechen und damit internationales Asylrecht begründen. Zugleich nehmen Naturkatastrophen wie Fluten und Stürme an Intensität, Ausmaß und Häufigkeit zu – auch infolge der Klimakrise. In diesen und anderen Fällen ist der Zusammenhang mit der Erderwärmung zwar wissenschaftlich anerkannt, aber komplex. Es wurde bislang kein Instrument entwickelt, um transnationale Migration im Zusammenhang mit Klimaveränderungen zu legitimieren. Entsprechend geraten Menschen, die vor plötzlichen Extremwetterereignissen fliehen, sei es nun temporär oder dauerhaft, in eine völkerrechtliche Schutzlücke. Das entsprechende Vakuum muss die internationale Staatengemeinschaft dringend füllen. Unsere Aufgabe als GRÜNE ist es nicht nur für die Eindämmung der Erderwärmung einzutreten. Vielmehr müssen wir uns auch für die Menschen einsetzen, die am unmittelbarsten betroffen sind. Daher müssen wir auf das Thema, auch wenn es unbequem ist, aufmerksam machen: Sei es, dass wir uns auf kommunaler Ebene gemeinsam mit Ehrenamtlichen vernetzen und demonstrieren, das Thema prominent auf unsere Agenda als Partei setzen, in den Gemeinde- und Stadträten Handlungspakete beantragen sowie in den Parlamenten auf Landes- und Bundesebene für eine entsprechende Gesetzgebung kämpfen.

 Verantwortung übernehmen – national und international

Es muss uns gelingen, eine umfassende Kehrtwende hin zu einem sozial-ökologischen Wandel in allen Sektoren und Politikbereichen einzuleiten, ein besonderes Augenmerk auf Politikkohärenz und strukturelle Reformen zu legen und die vollständige Einhaltung der Pariser Klimaziele und der Nachhaltigkeitsziele sicherzustellen. Dabei gilt es das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten nach dem Klimagerechtigkeits- und Verursacherprinzip ernst zu nehmen, das sowohl für die Industrie- als auch für die Schwellenländer gilt und für alle Bereiche der Nachhaltigkeit gelten muss. Gemäß dem Verursacherprinzip wollen wir den deutschen Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung auf den fairen Anteil von rund zehn Prozent des Kopenhagen- Versprechens anheben und allergrößtenteils aus öffentlichen Mitteln erbringen; zu diesem Zweck wollen wir die Ausgaben für internationale Klimafinanzierung um jährlich 800 Mio. Euro sowie die weiteren Ausgaben für offizielle Entwicklungszusammenarbeit (ODA) um jährlich 1,2 Mrd. Euro erhöhen, bis das jahrzehntealte Versprechen, mindestens 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für globale Entwicklung auszugeben, endlich erfüllt ist. Danach wollen wir die Klimagelder weiter an- wachsen lassen mit dem Ziel, die Zusätzlichkeit der Zusagen zur internationalen Klimafinanzierung gegenüber dem 0,7-Prozent-Ziel mittelfristig sicherzustellen und diese Gelder strikt an den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen auszurichten.

Menschenrechte schützen

Es ist unsere Aufgabe, elementare Menschen- rechte wie das Recht auf Nahrung, Wasser, Wohnen, Bildung, Gesundheit und ein Leben in Würde zu achten, zu schützen und zu garantieren und auf eine allumfassende Anerkennung des Menschenrechts auf saubere Umwelt hinzuwirken. Dazu gehört auch, sich auf internationaler Ebene im Rahmen der Staatengemeinschaft entschieden gegen die Kriminalisierung von Menschen- und nicht zuletzt Frauenrechtsverteidiger*innen sowie gegen die systematische Verfolgung der derzeit besonders gefährdeten Landrechts- und Umweltaktivist*innen einzusetzen. Wir wollen uns für die völkerrechtliche Verankerung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte einsetzen und den UN-Binding-Treaty-Prozess als globales und rechtsverbindliches Abkommen engagiert vorantreiben. Insgesamt geht es darum, globale Produktions- und Lieferkettenprozesse auf die strikte Einhaltung der völkerrechtlich verbrieften Menschenrechte hin zu überprüfen.

(für die Inhalte dieses Beitrags ist Claudia Roth verantwortlich)

In: Stadtgrün 9: Klimaschutz Hier und Jetzt