Während der letzten Jahre haben wir erlebt, dass unsere Demokratie nicht immun ist. Sie wird angegriffen: auf Straßen und auf Plätzen, durch Fake- News und Hate-Speech in den sozialen Medien und auch im Bundestag durch die AfD. Wir dürfen nie vergessen, dass Demokratie nichts Selbstverständliches ist, sie muss jeden Tag gestärkt und verteidigt werden. In meiner Arbeit möchte ich deshalb zwei wichtige Bereiche zusammenbringen: Demokratie und Kultur. Gerade die Erinnerungskultur ist ein wichtiger Baustein zur Stärkung unserer Demokratie.

Weil mir dieses Thema sehr wichtig ist, habe ich bereits zum Amtsantritt das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma besucht und seitdem viele der bedeutenden Gedenkstätten und Gedenkorte in unserem Land. Auch beim Kulturempfang der GRÜNEN Stadtratsfraktion hier in Augsburg stand die Erinnerungskultur im Mittelpunkt. Gemeinsam mit lokalen Aktiven der Erinnerungskultur und Dr. Hanno Loewy, dem Direktor des Jüdischen Museums Hohenems, sprachen wir darüber, wie ein Erinnern in die Zukunft gelingen kann: Wie gehen wir mit einer Situation um, in der viele Zeitzeug*innen nicht mehr unter uns sind? Wie halten wir ihre Erinnerung lebendig? Es war für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein bewegender Abend, auch durch den kulturellen Beitrag „Memory Off Switch“ von Bluespot Productions zum wichtigen Erinnerungs- und Lernort Halle 116, für den ich sehr dankbar bin.
Unsere Augsburger Stadtgesellschaft setzt wichtige Impulse für die Erinnerungskultur. Mit der Augsburger Erinnerungswerkstatt, die den Augsburger Weg der Erinnerung, das Online-Gedenkbuch mit ausführlichen Biografien und die Erinnerungszeichen auf den Weg gebracht hat. Und die Stolperstein-Initiative, die Stolpersteine im öffentlichen Raum verlegt. Überall sind vor allem junge Menschen von unseren regionalen Schulen involviert, sei es bei den Verlegungen der Stolpersteine oder beim Anbringen der Erinnerungszeichen. Sie sind es, die die Biografien recherchieren, vor Ort vortragen und diese Momente gestalten.

Erinnerungskultur ist immer auch Erinnern in die Zukunft, das viele offene Wunden in unserer Gesellschaft zeigt. In Berlin habe ich im Gorki-Theater eine Ausstellung über die Verbrechen des NSU besucht, in der Arbeiten aus Migrationsperspektive gezeigt wurden. Ein Plakat war zu sehen, auf dem „Kein Schlussstrich!“ stand. „Schlussstrich“ – diesen Ausdruck hatte ich vorher immer mit Gaulands AfD-Perspektive auf die Nazi-Verbrechen verbunden. In diesem anderen Kontext bekam der Ausdruck aber dann eine ganz neue Bedeutung. Dies macht deutlich, dass es immer noch viele offene Wunden in unserer Gesellschaft gibt. „Kein Schlussstrich!“ kann und soll somit als Motto einer neuen Erinnerungskultur verstanden werden.

Dazu gehören die Auseinandersetzung mit dem NS-Terror genauso wie die Frage des kolonialen Unrechts und gerade auch die offenen Wunden unserer Einwanderungsgesellschaft. Beim Gedenken in Mölln, wo vor 30 Jahren durch einen Brandanschlag von Neonazis drei türkischstämmige Frauen ermordet wurden, sagte eine der Angehörigen dieser Frauen zu mir: „Wir als Opfer kommen im nationalen Gedenken nicht vor.“ Das hat mich tief bewegt. Deshalb setze ich mich ein für eine Erinnerungskultur in die Einwanderungsgesellschaft und aus der Einwanderungsgesellschaft hinaus. Und der russische Angriffskrieg in der Ukraine betrifft aktuell die Arbeit der Gedenkstätten ganz konkret, wie ich in Flossenbürg erfahren konnte. Viele Menschen aus dem Gebiet der Ukraine wurden von den Nationalsozialisten als Häftlinge nach Flossenbürg verschleppt. Beim jährlichen Erinnerungs- und Gedenkakt vor Ort war die Sorge um die vielen Menschen in der Ukraine spürbar, auch um die dort lebenden Holocaust-Überlebenden. Doch was passiert, wenn die Zeitzeug*innen nicht mehr leben, wenn sie nicht mehr berichten und nicht mehr befragt werden können? Wie können Museen, Gedenkstätten und andere Institutionen die verbliebenen Audio- und Videoaufzeichnungen der Zeitzeug*innen bewahren? Wie können sie in Zukunft verantwortungsvoll mit den Schilderungen umgehen? Diesen Fragen geht beispielhaft die Ausstellung „Ende der Zeitzeugenschaft?“ nach, die vom Jüdischen Museum Hohenems und der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg in Zusammenarbeit mit der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum entwickelt wurde und die noch bis zum 8. Januar 2023 in Berlin zu sehen ist. Die Ausstellung ist Teil des Projektes „Zeitzeugen, Nachkommen und die Zukunft unserer Erinnerungskulturen“, das vollständig aus dem Etat der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gefördert wird. Während der mehrjährigen Projektlaufzeit werden Zeitzeugeninterviews aus den 1990er Jahren digitalisiert und neue Interviews mit Nachkommen der Zeitzeugen durchgeführt.

Für mich steht fest, dass die Zukunft der Erinnerungskultur in einer diversen Gesellschaft für eine neue Generation von Adressaten andere, auch innovative Vermittlungsformate braucht. Mit der Gedenkstättenkonzeption des Bundes und einer Neuauflage des Programms „Jugend erinnert“ soll dem Rechnung getragen werden. Um die Erinnerungskultur zukunfts- fähig zu gestalten wird hier in Augsburg zusätzlich zur Generalsanierung der Synagoge auch ein Pavillon zur Nutzung durch das Jüdische Museum Augsburg Schwaben errichtet, das sich seit Jahrzehnten in dem Gebäudekomplex befindet. Durch die räumliche Nähe zwischen Synagoge und dem Jüdischen Museum ergibt sich ein einzigartiger Raum zum Austausch zwischen der Israelitischen Kultusgemeinde und der breiten Öffentlichkeit. Die Augsburger Synagoge ist ein sichtbarer Ort jüdischen Lebens im Herzen unserer Stadt, sie steht beispielhaft für die lange und vielfältige Tradition jüdischen Lebens in Deutschland. Weil ihre kulturelle und geschichtliche Bedeutung weit über Bayern hinausgeht, fördert der Bund aus dem Etat des BKM die Generalsanierung mit 13 Millionen Euro. Damit möchten wir unseren Beitrag dafür leisten, dass die Augsburger Synagoge auch in Zukunft ein Ort jüdischer Kultur, Religion und Tradition ist, ein Ort der Verständigung zwischen unterschiedlichen Kulturen, ein Ort für das Erinnern in die Zukunft.

 

Für die Inhalte dieser Seite ist Claudia Roth, MdB, verantwortlich.