— Migrationsreferent Reiner Erben im Gespräch

Hallo Herr Erben. Mit Ihrem Amtsantritt wurde 2014 das Büro für Migration, Interkultur und Vielfalt neu geschaffen. Könnten Sie kurz beschreiben was man sich unter diesem Büro vorstellen kann und welche Funktion es hat?

Unser Büro (und vergleichbare Stellen deutschlandweit) reagiert darauf, dass über 44% der Bevölkerung in Augsburg einen sogenannten Migrationshintergrund hat, also entweder selbst zugewandert ist, oder ein Elternteil nach 1955 aus dem Ausland zugewandert ist. Wir sehen in der Vielfalt eine Ressource in unserer Gesellschaft. Diesen Wert vermitteln wir mit unserer Arbeit. Ziel unserer Arbeit ist die gleichberechtigte Teilhabe durch eine gelebte Willkommens- und Anerkennungskultur in der Friedensstadt Augsburg.

Was ist in Augsburg bzw. seiner Bürgerschaft das Besondere im Hinblick auf Migration und Integration?

In Augsburg erlebe ich eine sehr engagierte Zivilgesellschaft und sehr viele außerstädtische Akteurinnen und Akteure, die für eine erfolgreiche Integrationsarbeit von außerordentlicher Wichtigkeit sind und auch bundesweit eine große Anerkennung genießen. Die Wege in Augsburg sind kurz, der direkte Kontakt unkompliziert, was Abstimmungen und schnelles Handeln sehr viel leichter macht. Ein sehr positives Beispiel war die referatsübergreifende Arbeit an der Homepage zu Asyl in Augsburg. Wir hatten an sehr unterschiedlichen städtischen Stellen ein erhöhtes Aufkommen an Fragen von engagierten, manchmal auch beunruhigten, Bürgerinnen und Bürgern bemerkt und haben uns sehr schnell darauf verständigt, gemeinsam eine gut lesbare und aktuelle Webseite zu gestalten, die bis heute sehr stark nachgefragt wird.

Als Friedensstadt hat die Stadt ein sehr starkes Narrativ, also eine Basis, auf die sich alle hier lebenden Menschen ohne Wenn und Aber berufen können. Dies empfinde ich sehr stark als den „Kitt“, der Augsburger*innen mit und ohne Migrationshintergrund zusammenhält. Dies wurde auch sehr deutlich als Frau Petry im Rathaus war. Der Rathausplatz gehörte unter dem Motto: „Wir sind Friedensstadt“ den Bürgerinnen und Bürgern. Da habe ich ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl einer sehr aktiven Bürgerschaft erlebt.

Geflüchteten Menschen, aber auch schon länger hier lebenden Ausländer*innen ist oftmals nicht bewusst, dass es konkrete Hilfeangebote gibt. Mit welchen konkreten Problemen bzw. Fragestellungen können Menschen zum Büro für Migration kommen?

Wir machen keine Beratung im klassischen Sinn. Wir haben keine Sprechstunden oder Ähnliches. Unser Ziel ist es, Strukturen zu schaffen bzw bestehende Strukturen so zu verändern, dass alle Bürger*innen der Stadt mit und ohne Migrationshintergrund gleichermaßen und überall adäquat beraten werden. Hier steht die interkulturelle Öffnung der Verwaltung im Mittelpunkt. Menschen sind unterschiedlich, und wenn wir möchten, dass alle Menschen, die gleichen Angebote wahrnehmen können, müssen wir dafür sorgen, dass sie in all ihrer Unterschiedlichkeit beraten werden, dass mögliche Barrieren abgebaut werden. Dennoch können Menschen zu uns kommen und sie tun dies auch. Es sind oft Personen, die eine Projektidee haben und gerne eine Veranstaltung mit uns durchführen möchten, und/ oder die auf der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten sind. Hier beraten wir gerne, berichten über Stiftungen oder Bundesprogramme, die eventuell finanzieren könnten und helfen so weiter. Wir schauen dabei, ob wir vielleicht unterschiedliche Akteurinnen und Akteure mit den gleichen Ideen vernetzen können, oder wir unterstützen bei der Suche nach Referenten*innen, Räumlichkeiten, Ansprechpersonen etc. Es kommen auch viele Augsburger*innen zu uns, die Hilfe brauchen, wenn sie z.B. einen Verein gründen wollen. Auch hier beraten wir gerne. Da ja auch die Kresslesmühle im Büro für Migration angesiedelt ist, können wir kostengünstige Räume für Vereine, Einzelpersonen etc. anbieten, aber auch einen attraktiven Aufführungsort für Veranstaltungen im Herzen der Altstadt.

In Augsburg haben fast 44% aller Bürgerinnen und Bürger eine Migrationsgeschichte. Bei den unter 18-jährigen liegt die Migrationsquote sogar über 61%. Vielfalt ist daher in Augsburg bereits gelebte Praxis und wird eher noch zunehmen. Was kann die Stadt tun, damit diese Entwicklung nicht als „Belastung“, sondern als Chance und Bereicherung verstanden wird?

Das beste Beispiel gibt die bereits gelebte Praxis! Entweder Augsburg, Stuttgart oder Frankfurt wird eine der Städte sein, die als Erstes die 50% Marke überschreiten wird. Einer dieser Städte wird die erste sein, in der dann die Mehrheit der Bewohner*innen einen Migrationshintergrund hat und die Minderheit keinen. Schaut man sich diese drei Städte heute an, so handelt es sich um Städte, die aufgrund ihrer vielfältigen Stadtgesellschaft dort stehen, wo sie heute stehen. Wir müssen aufhören, Migration als Gefahr für Leib, Leben und Gesellschaft zu sehen, sondern als das, was sie bereits seit Jahrhunderten ist: Als Normalität. Städte profitieren davon am ehesten, wenn sie diese Normalität als Teil ihrer Geschichte und Gegenwart anerkennen und mit Migration nicht die Ausnahme in der Geschichte verbinden. Deutschland ist reich an Geschichten gelungener Integration. Die Hugenotten*innen, die im 18. Jahrhundert nach Deutschland kamen, haben allein in Preußen über 43 neue Wirtschaftszweige eingeführt und Städte zwischen Berlin und Kassel maßgeblich geprägt, bzw. erst gegründet. Das Ruhrgebiet wäre ohne die Zuwanderung der sogenannten Ruhrpolen nie Motor einer industriellen Entwicklung gewesen. Die Erfolgsgeschichte des „Wirtschaftswunders“ hätte sich ohne die 15 Millionen Gastarbeiter*innen, von denen sich drei Millionen auf Dauer niedergelassen haben, die zu Zeiten der Anwerbeverträge nach Deutschland kamen, ganz anders abgespielt. Mal ganz abgesehen davon, dass es eigentlich sehr schade gewesen wäre, hätten die Römer nicht Städte wie Augsburg, Mainz, Köln, Trier, Kempten gegründet… Entwicklung und Bewegung findet durch Migration, Integration und Innovation statt.

Migrantinnen und Migranten aus den unterschiedlichsten Ländern sind in Augsburg auch in Vereinen und Verbänden organisiert. Arbeiten Sie auch mit diesen selbst organisierten Interessengruppen zusammen und in welcher Form?

Vernetzung ist ein wichtiges Arbeitsfeld des Büros für Migration, Interkultur und Vielfalt, zumal auch die Geschäftsstelle des Integrationsbeirats dort angesiedelt ist. Was den Integrationsbeirat anbelangt, haben wir gemeinsam mit den unterschiedlichen Vereinen gerade ein neues Konzept für die zukünftige Zusammensetzung erstellt.

Generell versuchen wir immer mit den Vereinen und Verbänden im Gespräch zu bleiben. Wir achten bei Veranstaltungen immer darauf, dass wir bei der Wahl der Referierenden, oder der Künstler*innen die Vielfalt der Stadt repräsentieren. Daneben haben wir mit dem Frühlingsfest des Integrationsbeirates und der AFA (Augsburger Frühjahrsausstellung) zwei große Formate, in denen wir ganz gezielt und explizit mit den verschiedenen Vereinen über einen längeren Zeitraum zusammenarbeiten. Zudem bieten wir Vereinen an, in Kooperation mit uns, eigene Veranstaltungen durchzuführen und haben immer ein offenes Ohr für neue Projektideen.

Was hat das Büro für Migration bisher vorangebracht und welches sind die zentralen Projekte der nächsten vier Jahre, die angepackt oder verbessert werden sollen?

Die Leiterin des Büros, Frau Dr. Spohn, hat ihr erstes Jahr persönlich genutzt, um sich einen Überblick über die unterschiedlichen städtischen und außerstädtischen Akteure*innen in dem Feld zu bekommen. Parallel haben wir unser Büro neu aufgebaut, strukturiert und ständig erweitert. Mit der Kresslesmühle kam dann im August 2015 noch ein völlig neuer Bereich hinzu. Wir haben bisher zahlreiche Projektanträge gestellt und diese auch bewilligt bekommen. Seien es Demokratie leben! WAKA, Willkommens- und Anerkennungskultur in Augsburg (gefördert durch die EU); die Bildungskoordinatoren*innen (gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung), MUSA (Muslimische Seelsorge in Augsburg) (gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration) oder das kleinere Projekt Welcome Guide (gefördert durch die Bosch-Stiftung) , in dem Geflüchtete ausgebildet werden, anderen Geflüchteten die Stadt zu zeigen. Wir haben mit viel Fantasie und immer in Kooperation mit vielen Partnern*innen viele spannende Projekte und damit auch einiges an Geld in die Stadt geholt. Uns hat sehr gefreut, dass das Bayerische Fernsehen sich daher auch Augsburg mit seiner breiten Projektlandschaft ausgesucht hat, als es einen Film über die Integration allgemein und der Geflüchteten im Besonderen gedreht hat.

Einer unserer Schwerpunkte ist und bleibt die interkulturelle Öffnung der Verwaltung. Erstmals haben wir im Programm der Stadtakademie 15 Veranstaltungen zu unterschiedlichen Bereichen der interkulturellen Kompetenz angeboten. Wir haben mit den zuständigen Stellen darüber gesprochen, wie interkulturelle Kompetenz in Bewerbungsverfahren festgestellt werden kann und welche strukturellen Schritte hierfür notwendig sind.

Da sind wir auf einem guten Weg, ein solches Verfahren zu verankern. Interkulturelle Kompetenz wird bald ein Pflichtmodul in der zukünftigen Ausbildung von Führungskräften der Stadt werden.

Gegenwärtig schreiben wir an einem Bericht zur gleichberechtigten Teilhabe (Integrationsbericht) und erstellen ein Konzept zur gleichberechtigten Partizipation (Integrationskonzept), das wir derzeit mit unterschiedlichen Ämtern und Dienststellen diskutieren. Diese Konzepte möchten wir dann auch mit möglichst vielen Akteuren*innen auch außerhalb der Stadtverwaltung besprechen.

Was die Kresslesmühle betrifft haben wir ein neues Nutzungskonzept unter Einbeziehung unterschiedlichster Gruppen erstellt und mit der neuen Gastronomie ein stimmiges Gesamtkonzept erarbeitet. Der Dreiklang: Veranstaltungsort, Ort der Begegnung und Bildungs- und Beratungszentrum wird der Geschichte des Hauses als Vorreiterin der interkulturellen Begegnung gerecht. Hier wird vor allem im nächsten Jahr viel Arbeit in der Renovierung des Hauses liegen. In vier Jahren hoffen wir, dass wir eine regelmäßige Berichterstattung zur gleichberechtigten Teilhabe etabliert und damit eine Datenbasis haben, die dem Stadtrat das nötige Material zur politischen Steuerung gibt. dass die interkulturelle Öffnung der Verwaltung Teil der städtischen Normalität und eine selbstverständliche Kompetenz für Mitarbeiter*innen der Verwaltung geworden ist. sich noch mehr Referate und Dienststellen auf den langen Weg einer interkulturellen Organisationsund Personalentwicklung gemacht haben. Unsere ganzen Projekte erfolgreich abgeschlossen sind und wir neue Projekte generieren konnten Wir mehr Mitarbeiter*innen im Team haben Die Mühle das pulsierende und interkulturelle Zentrum in der Altstadt ist.

Herr Erben, vielen Dank für das Gespräch.

 

dieses Interview und mehr in unserer zweiten Ausgabe Stadtgrün ➚

Beteiligte Personen