von Claudia Roth

Es ist geschafft! Die Grundgesetzänderung im Bildungsbereich hat im Bundesrat erfolgreich die letzte Hürde genommen. Nach schwierigen Verhandlungen hatten sich Bund und Länder im Vermittlungsausschuss auf eine Grundgesetzänderung in den Bereichen Bildung, sozialer Wohnungsbau und Regionalverkehr geeinigt. Der Bund erhält damit mehr Möglichkeiten, Länder und Kommunen mit Finanzhilfen zu unterstützen. Nun kann endlich auch der Digitalpakt starten. Auf die Digitalisierung im Klassenzimmer haben Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte schon viel zu lange warten müssen. Aber auch für die zukünftige Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bildungsbereich steht die Tür ein Stück weiter offen.

Gemeinsam für bessere Bildung

Wir Grüne im Bundestag haben uns von Anfang an für eine grundlegende Reform des Bildungsföderalismus eingesetzt und diese Position gemeinsam mit der FDP im Antrag „Bessere Bildung durch einen modernen Bildungsföderalismus“ in den Bundestag eingebracht. Denn wir waren und sind überzeugt: Gerechte Bildungschancen dürfen nicht vom Wohnort oder Elternhaus abhängen. Dabei ging es uns niemals um Zentralismus in der Schulpolitik, sondern immer um die Möglichkeit, dass Bund und Länder für mehr Bildungsgerechtigkeit zusammenarbeiten können. Der ganz große Wurf für eine solche weitreichende Ermöglichungsverfassung für gute Bildung war mit der CDU/CSU- Bundestagsfraktion und einigen Ländern leider nicht zu machen. Das Ergebnis des Vermittlungsausschusses ist ein Kompromiss im klassischen Sinn. Alle Seiten haben ihre Verantwortung ernst genommen und sind aufeinander zugegangen. Das wichtige Signal von Bund und Ländern: Eine Verbesserung der Bildungschancen in Deutschland darf nicht am föderalen Zuständigkeitsgerangel scheitern. Der Kompromiss bedeutet zwar noch kein Ende des Kooperationsverbots in der Bildung, aber die Tür für mehr gemeinsame Finanzierungsverantwortung steht ein Stück weiter offen. Erfreulicherweise konnten wir die Länder davon überzeugen, dass es für die Bildungsgerechtigkeit in Deutschland gut ist, wenn die Mittel des Bundes nicht nur auf Investitionen in Beton und Hardware beschränkt sind, sondern auch in die Förderung von Schülerinnen und Schüler gesteckt werden Mit der neuen Regelung kann das Geld des Bundes – wenn auch zeitlich befristet – endlich auch in Köpfe investiert werden. Diese neue Chance wollten wir eigentlich direkt für den Digitalpakt nutzen, damit Lehrerinnen und Lehrer bei der Betreuung und Wartung von WLAN und Tablets von Netzwerkadministrator*innen und IT-Fachkräften unterstützt werden können. Leider war das mit der Bundesbildungsministerin Karliczek und einigen Kultusministerinnen und -ministern nicht zu machen. Sie müssen jetzt zeigen, dass sie die Schulung von Lehrkräften und die Verwaltung der Technik auch alleine stemmen können, damit Tablets und Whiteboards nicht ungenutzt in der Ecke verstauben.

Neuen Spielraum im Grundgesetz nutzen

Weil das Grundgesetz Grundsätzliches regelt, gilt der neue Spielraum natürlich auch für alle zukünftigen Bildungsprogramme. Wenn Bund und Länder zum Beispiel Ganztagsschulen fördern, können jetzt auch Schulentwicklung oder Schulsozialarbeit mit- gedacht werden. Das ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem modernen Bildungsföderalismus. Denn die beste IT-Technik im Klassenzimmer und die modernste Ganztagsschule bringen wenig, wenn niemand das Whiteboard bedienen kann und der Unterricht von gestern ist. Der neue Spielraum muss jetzt auch mit Leben gefüllt werden. Ob dazu der politische Wille besteht, kann und muss die Bundesregierung bei der Förderung von Ganztags- und Brennpunktschulen zeigen. Statt sich auf wissenschaftliche Begleitung zu beschränken, darf der Bund nun auch vor Ort mit anpacken. Nach der vorsichtigen Öffnung der Verfassung kann sich die Bundesregierung nicht mehr so einfach hinter dem Kooperationsverbot verstecken.

Mehr Feminismus in der Digitalisierung

Egal ob IT-Sicherheit, Software-Entwicklung oder künstliche Intelligenz – die Digitalisierung braucht in allen Bereichen deutlich mehr Frauen in den Hörsälen, Forschungszentren und IT-Unternehmen. Denn eine wie derzeit in Deutschland männlich dominierte IT-Branche wird weder den Anforderungen einer geschlechtergerechten Digitalisierung oder zeitgemäßer wirtschaftlicher Entwicklungen noch einer Zukunftsbranche gerecht. Um das zu ändern, hat die grüne Bundestagsfraktion zum Fachgespräch „Besser mit Frauen. Wir gestalten Digitalisierung“ eingeladen. Seit 2008 hat sich der Anteil von Frauen in der Digitalbranche kaum verändert. Weniger als ein Drittel weibliche Angestellte und ein Frauenanteil von nur rund elf Prozent bei Gründungen und Selbstständigen sind viel zu wenig. Der seit Jahren viel zu geringe Frauenanteil im IT-Bereich an Schulen, in der Ausbildung, an Universitäten und am Arbeitsmarkt ist ein riesiges Problem. Die Branche sucht auch deshalb händeringend nach Fachkräften, weil die Potenziale der Frauen nicht genutzt werden. Gleichzeitig wird die Gesellschaft bei der Entwicklung und Gestaltung der digitalen Zukunft um den wichtigen Input der Frauen und eine geschlechtergerechte Ausgestaltung gebracht.

Strukturelle Hindernisse

Welche Probleme und Diskriminierungen dadurch entstehen können, konnte man jüngst bei Amazon beobachten. Dort wurde eine Software entwickelt, die mittels künstlicher Intelligenz ein Ranking der eingegangenen Bewerbungen erstellen sollte. Dabei kam heraus, dass der Algorithmus Frauen systematisch benachteiligte, weil das System mit den Daten der bisherigen Personalentscheidungen trainiert wurde. Da das Unternehmen bisher fast nur Männer einstellte, übernahm das Programm dieses diskriminierende Auswahlkriterium. Dabei ist die Technologienentwicklung nichts, was einfach geschieht – vielmehr ist sie von Menschen gemacht und entsprechend veränderbar. Die Technologie muss in ihrer Entwicklung von Anfang an divers und geschlechtergerecht sein, sie muss die Vielfältigkeit, die unterschiedlichen Perspektiven und Bedürfnisse dieser Welt widerspiegeln, denn sie entscheidet über die Zukunft, in der wir leben wollen. Als Gestalterinnen sind Frauen hier entscheidend – als Informatikerinnen, als Impulsgeberinnen, als Programmiererinnen, als feministische Vordenkerinnen oder als Anwenderinnen. Und das von Anfang an. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Fachgesprächs waren sich einig: Ob Berufsausbildung oder Studium – am besten gewinnt man Frauen und Mädchen dafür, wenn man sie schon in jungen Jahren anspricht. Darum gehört Informatik schon früh in die Lehrpläne der Schulen und muss diskriminierungsfrei unterrichtet werden. Außerdem brauchen wir viel mehr weibliche Vorbilder für junge Mädchen und Frauen und viele feministische Vorreiter*innen im Tech-Bereich.

(für die Inhalte dieses Beitrags ist Claudia Roth verantwortlich)

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