„Divestment ist keine Option – Divestment ist eine Verpflichtung!“

Themencheck zu nachhaltiger Finanzpolitik mit Franziska Wörz, finanzpolitische Sprecherin der GRÜNEN Stadtratsfraktion Augsburg, und Stephanie Schuhknecht, Abgeordnete für Augsburg und Schwaben der GRÜNEN Landtagsfraktion.
DEFINITION: Divestment bedeutet wörtlich das Gegenteil von “Investment” bzw. “Investition”. Seit 2012 gibt es ausgehend von den USA eine globale Divestment-Bewegung, die durch den strategischen Rückzug aus klimaschädlichen Finanzanlagen den Ausstieg aus der energetischen Nutzung fossiler Energieträger erreichen will. Die Bewegung wird u.a. vom WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen) unterstützt.

Franziska Wörz: Nachhaltige Entwicklung und vor allem eine klimagerechte Zukunft sind für uns GRÜNE absolut alternativlos. Um diese Ziele erreichen zu können, müssen wir beharrlich sein und alle Register ziehen. Dabei geht es nicht nur um das Offensichtliche – wie z.B. den Umbau der Energieversorgung und die Mobilitätswende. Ergänzend muss auch unsere Finanzpolitik und in diesem Kontext insbesondere das Anlagenmanagement an Nachhaltigkeitskriterien orientiert sein, um verantwortungsvoll und konsequent klimagerecht zu handeln.

 

Stephanie Schuhknecht: Während meiner Zeit im Augsburger Stadtrat haben wir uns dafür eingesetzt, dass sich Augsburg als Projektstadt für das bundesweite Förderprogramm „Klimafreundlich investieren – Kommunales Divestment & Reinvestment in deutschen Städten“ bewirbt. Das war 2017 und dann nochmal 2018. Leider hatten wir damals keinen Erfolg damit. Vor diesem Hintergrund freue ich mich besonders, dass es jetzt, Anfang Dezember, im Finanzausschuss gelungen ist, die städtische Finanzrichtlinie dahingehend zu verändern, dass in Zukunft keine Investments mehr in Geschäftsmodelle erfolgen, die mit der Verbrennung von Erdgas einhergehen. Kohle und Erdöl wurden ja bereits im Juli ausgeschlossen. 

 

Franziska Wörz: Stimmt. Das ist ein riesiger Fortschritt! Wobei man sagen muss: Divestment ist keine Option – Divestment ist eine Verpflichtung! Wir könne ja nicht auf der einen Seite nachhaltige Mobilität fördern und gleichzeitig unser Geld mit klimaschädlichen Investitionen vermehren. Wir müssen alle vorhandenen Mittel verantwortungsvoll im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung einsetzen.

 

Stephanie Schuhknecht: Klingt gut, aber mal ganz ketzerisch gefragt: Das städtische Vermögen ist überschaubar. Fällt das dann überhaupt ins Gewicht?

Franziska Wörz: Auf jeden Fall! Es stimmt zwar, dass die Stadt Augsburg derzeit kein Geld hat, das sie anlegen könnte, da wir nicht über “freies” Vermögen verfügen. Geld, das im Haushalt den Rücklagen zugeführt oder für bestimmte Projekte eingeplant wurde, darf nur als Fest- bzw. Tagesgeld angelegt werden. Investitionen (in klimafreundliche Anlagen) zur Überbrückung der Zeit würde eine Zweckentfremdung darstellen. Trotzdem fällt die Änderung der Finanzrichtlinie ins Gewicht! Erstens sind davon auch die 48 städtischen Stiftungen betroffen, die ihre Anlagen nun entsprechend anpassen müssen, was herausfordernd, aber unausweichlich ist. Zweitens darf man die Signalwirkung nicht unterschätzen. Wir beziehen damit klar Stellung für Klimagerechtigkeit und sind auch perspektivisch, wenn der Stadt Investitionsmittel für langfristige Anlagen zur Verfügung stehen, an die neue Finanzrichtlinie gebunden, können also auch in Zukunft keine klimaschädlichen Investitionen tätigen. Außerdem sind wir mit diesem Beschluss Teil einer Divestment-Bewegung. Gemeinsam zeigen wir, dass es auch ohne klimaschädliche Investitionen geht, und erzeugen Druck auf Staaten und Unternehmen, Klimaschutz ernst zu nehmen. Denn wer weiterhin auf fossile Energieträger setzt findet früher oder später keine Geldgeber mehr.

 

Stephanie Schuhknecht: Richtig. Nicht umsonst heißt es “Money makes the world go round”. Anlagekriterien stellen einen riesigen Hebel für eine schnellere ökologische Transformation dar. 

 

Franziska Wörz: Genau! Unsere Geldanlagen sollen künftig nicht nur nicht schaden, sondern darüber hinaus auch ausdrücklich positive Effekte haben. In Zukunft werden Geldanlagen bevorzugt, die über ein Rating nach ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) verfügen. Ethische Aspekte spielen für finanzpolitische Entscheidungen dann eine zentrale Rolle. Auch das wurde Anfang Dezember im Finanzausschuss beschlossen. Wir sind gerade, nicht zuletzt auch aufgrund deiner Bemühungen vor einigen Jahren, auf einem richtig guten Weg!

 

Stephanie Schuhknecht: Herzlichen Glückwunsch, das sind wirklich wichtige Weichenstellungen! Im Landtag kämpfen wir als GRÜNE Fraktion auch für einen verantwortungsvolleren und zukunftsorientierten Umgang mit dem bayerischen Staatsvermögen – etwa beim fast 3,5 Milliarden schweren bayerischen Pensionsfonds. Die bayerische Anlagestrategie ist bisher am „magischen Dreieck der Vermögensanlage“ orientiert – also an Sicherheit, Rendite und Liquidität. Wir wollen, dass daraus ein Viereck mit Nachhaltigkeit als viertem Kriterium wird. Wir fordern, dass auch ökologische, soziale und ethische Aspekte verbindlich vorgeschrieben werden! Dazu haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, der am 8. Dezember in der ersten Lesung im Landtag war. Es gibt noch kein abschließendes Votum, aber wir hoffen natürlich, dass die bayerische Landesregierung unseren Vorstoß unterstützt – auch wenn die Regierungsfraktionen nur sehr selten Oppositionsanträge, noch seltener Gesetzesentwürfe, annehmen.

 

Franziska Wörz: Würden die von euch vorgeschlagene Regelung auch mit Divestment einhergehen?

 

Stephanie Schuhknecht: Ja, implizit schon. Unser Gesetzentwurf sieht vor, dass keine Finanzanlagen von Staaten mehr erworben werden, die das jeweils aktuelle Klimaschutzprotokoll nicht ratifiziert haben. Es soll außerdem nicht mehr in Unternehmen investiert werden, die ihr Geld mit fossilen Brennstoffen machen – und zwar im Hinblick auf Förderung, Aufbereitung und Dienstleistungen. Wir berufen uns dabei übrigens auf die 17 Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen, die am 25. September 2015 im Rahmen der Agenda 2030 beschlossen wurden. Noch ist allerdings fraglich, ob sich die bayerische Landesregierung davon überzeugen lässt…

 

Franziska Wörz: Welche Bedenken werden denn geäußert?

 

Stephanie Schuhknecht: Das Anlegen des Staatsvermögens wird durch zusätzliche Kriterien erstmal komplizierter. Aber abgesehen von der absoluten Notwendigkeit, auch in Finanzfragen die Zukunft im Blick zu haben, formulieren wir eindeutige Richtlinien für die Umsetzung. Es gibt einerseits genau definierte „harte“ Ausschlusskriterien, aus denen sich eine Negativliste ergibt. Andererseits schlagen wir einen Best-In-Class-Ansatz vor, der solche Staaten und Unternehmen bevorzugt, die unter ökologischen, sozialen und ethischen Aspekten führend sind. Um die erforderliche Klassifizierung vornehmen zu können, wäre eine Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern denkbar. Es gibt spezialisierte „Nachhaltigkeits-Ratingagenturen“, die den Verwaltungsaufwand hier deutlich verringern könnten. Die Machbarkeit steht also nicht infrage. Wenn unser Vorstoß scheitert, dann am politischen Willen!

 

Franziska Wörz: Ich drücke die Daumen!

 

AUSBLICK: Über das von der GRÜNEN Landtagsfraktion vorgeschlagene „Gesetz für Nachhaltigkeit der bayerischen Finanzanlagen“ wird voraussichtlich im ersten Quartal 2022 abgestimmt.

Beteiligte Personen