Klimakrise, NSU-Morde, Pandemie, Krieg in der Ukraine, kontroverse Sicht auf Migration: Wir befinden uns seit Jahren im Krisenmodus. Die Polarisierung der Gesellschaft nimmt zu, Verunsicherung und Gewaltbereitschaft steigen, das Vertrauen mancher in die freiheitlich-demokratische Ordnung sinkt. Gerade in solchen Zeiten ist gute politische Bildung auf allen staatlichen Ebenen erforderlich!

Unsere Grünen Stadträte Dr. Deniz Anan, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, und Matthias Lorentzen Sprecher für Antirassismus und Demokratie, haben sich den Fragen unserer Fraktionsgeschäftsführerin Anna König gestellt.

Anna König: Deniz, du bist im Hauptberuf als Politikwissenschaftler an der TU München tätig. Spielt es eigentlich eine Rolle,in welchem Ausmaß Schulen und andere Einrichtungen politische Bildung betreiben?

Deniz Anan: Ja, definitiv. Wenn es nicht so wäre, dann würden sich diktatorische und autoritäre Regime nicht die Mühe machen, den Schulunterricht politisch zu instrumentalisieren.

Anna König: So ein Vorgehen liegt Demokratien natürlich fern. Aber auch bei uns gibt es doch bestimmte Erwartungen an politische Bildung, zum Beispiel gegen Rechtsextremismus und politische Gewalt zu sensibilisieren, oder?

Deniz Anan: Ja. Fachleute bezeichnen dies als Leitbild der “Mission”. Man sieht einen gesellschaftlichen Missstand und erhofft sich Abhilfe durch politische Bildung.

Anna König: Kann die politische Bildung diesen Erwartungen gerecht werden?

Deniz Anan: Um rechtsextreme Einstellungen einzudämmen, steht ein breites Instrumentarium zur Verfügung. Beispielsweise erweisen sich Schülerinnen und Schüler als viel weniger anfällig für autoritäre Denkmuster, wenn sie in der Schule die Wertschätzung demokratischen Engagements erleben. Auch fundiertes Wissen über die Funktionsweise von demokratischen und nicht demokratischen Systemen verringert die Anfälligkeit.

Anna König: Hört sich gut an.

Deniz Anan: Die Schule kann aber nicht zaubern. Umso wichtiger, dass die Lehrkräfte v. a. im Fach Politik fundiert ausgebildet sind. Denn die Schule konkurriert mit anderen Sozialisationsinstanzen – junge Leute werden eben auch von Elternhaus, Medien und Gleichaltrigen stark geprägt. Und Leitbild demokratischer politischer Bildung ist der*die mündige Bürger*in, welche*r über das Ausmaß des eigenen politischen Engagements selbst entscheidet. Der für die politische Bildung zentrale “Beutelsbacher Konsens” verbietet daher u. a. explizit die Überwältigung der Lernenden und gebietet die kontroverse Darstellung politischer Fragen. Und gute politische Bildung lässt auch im Unterricht selbst Platz für Mitbestimmung.

Anna König: Wie beurteilst du die neue “Fachstelle für Demokratie”¹, die die Stadt jetzt einrichten will?

Deniz Anan: Uneingeschränkt positiv. Das ist nicht nur ein großer Erfolg für uns GRÜNE, die wir uns lange für so eine Einrichtung stark gemacht haben, sondern mit Blick auf Polarisierung und Desinformationskampagnen unvermeidlich. In München gibt es eine entsprechende Stelle schon lange. Sie informiert die Bürgerinnen und Bürger im Vorfeld von Wahlen, ergänzt die schulischen Bildungsangebote und rückt den Menschen die Vielfalt unserer Stadtgesellschaft und deren Vorteile ins Bewusstsein.

Anna König: Matthias, inwiefern spielt politische Bildung bei der Stadt Augsburg schon bislang eine Rolle?

Matthias Lorentzen: Natürlich hat auch die Stadt Augsburg einen politischen Bildungsauftrag. Deshalb gibt es im Augsburger Rathaus für Kinder und Jugendliche eine Einführung in die Arbeit der städtischen Gremien und in den Aufbau der Augsburger Stadtverwaltung – daran wirken auch wir Stadträtinnen und Stadträte mit. Dieses Format “Lernort Rathaus” wird für Kinder und Jugendliche angeboten und das Bildungsreferat ergänzt es mit dem “Rollenden Rathaus”, einer Kiste mit hilfreichem Anschauungsmaterial zur Benutzung vor Ort. Die Kinder und Jugendlichen bekommen so die Gelegenheit, ihr Rathaus und die Arbeit der Gremien kennenzulernen.

Anna König: Können Schülerinnen und Schüler denn auch selbst aktiv werden?

Matthias Lorentzen: Ja, dazu gibt es einige Möglichkeiten. Immer mehr Schulen werden zum Beispiel Teil des Netzwerks “Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage”. In Augsburg haben im Moment 19 Schulen diesen Titel. Immer mehr Schülerinnen und Schüler setzen sich dafür ein, dass ihre Schule eine “Courage-Schule” wird. Die Schulgemeinschaft verpflichtet sich damit selbst dazu, aktiv gegen Diskriminierungen, insbesondere gegen Rassismus, einzustehen und eine Kultur des Hinsehens zu pflegen.

Anna König: Gerade junge Menschen orientieren sich an Vorbildern, der Sport spielt hier auch eine Rolle. Findet auch hier politische Bildung statt?

Matthias Lorentzen: Mit dem FC Augsburg und dem AEV haben wir zwei bedeutende und reichweitenstarke Teams in Augsburg. Das “Fanprojekt” des Stadtjugendrings Augsburg wendet sich an jugendliche und junge Erwachsene Fußballfans, deren Bezugsverein der FC Augsburg ist. Das Fanprojekt fördert das Engagement gegen Gewalt und Rassismus im Umfeld der Fußballspiele des FCA und wirbt für demokratische Werte. Legendär ist inzwischen der jährlich veranstaltete Copa Augusta Antiracista, ein antirassistisches Fußballturnier, bei dem an zahlreichen Infoständen verschiedenste Einrichtungen, Organisationen und Initiativen ihre Arbeit vorstellen – darunter der Augsburger Flüchtlingsrat, die Kreisvereinigung Augsburg der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten oder auch die Seebrücke Augsburg.

Anna König: Gibt es einen Anlass, wo die vielen Akteur*innen der politischen Bildung in Augsburg zusammenkommen?

Matthias Lorentzen: Ja klar, bei der Langen Nacht der Demokratie, die zuletzt in der Stadtbücherei stattfand, waren die meisten Akteur*innen vor Ort und haben ihre Arbeit und ihre Projekte vorgestellt. Es war wirklich bereichernd, dies alles im persönlichen Gespräch zu erfahren. Und mit dem Netzwerk Politische Bildung Schwaben, das seit 2002 mit verschiedenen Maßnahmen die politische Bildung in Schwaben fördert, gibt es nicht nur einen guten Austausch, sondern es entstand auch ein Erkundungstag zu Politik und Verwaltung für schwäbische Schulklassen, um Sozialkundeunterricht lebendig zu gestalten.

Anna König: Matthias, engagierst Du Dich auch persönlich neben Deiner Arbeit im Stadtrat?

Matthias Lorentzen: Im Vorstand des Bündnis für Menschenwürde Augsburg-Schwaben e. V. bin ich seit vielen Jahren aktiv gegen Rechtsextremismus und wir setzen uns für Menschenwürde und Menschenrechte ein. Mit #AmoreStattPengPeng und #ZeigDichAux haben wir zum Beispiel ein Zeichen gegen rechtsextreme Veranstaltungen gesetzt. Wir haben auch eine Filmwoche für Toleranz organisiert und die Schulen aus dem Netzwerk “Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage” dazu eingeladen. Aktuell unterstützen wir die Menschen in der Ukraine und Geflüchtete hier in Augsburg mit Solidaritätskundgebungen. Wir organisieren dabei die großen Kundgebungen, die oft tausende Menschen dazu bewegen, auf dem Rathausplatz im Herzen unserer Stadt zu zeigen, dass wir Friedensstadt sind. Auch dabei können wir uns auf die Unterstützung der vielfältigen Netzwerke der politischen Bildungsarbeit verlassen.

 

 

¹ Die kommunale “Fachstelle Demokratie” wird als Partnerin für Schulen, aber auch im außerschulischen Bereich, wertvolle Bildungsarbeit leisten. Ihre zentrale Aufgabe besteht darin, vor Ort unsere Demokratie gegen antidemokratische Tendenzen zu verteidigen – z.B. mit Informationskampagnen zur Bekämpfung von Vorurteilen und Stereotypen. 2020 hat die Stadt diesen Schritt beschlossen und damit eine wichtige Forderung aus unserem Koalitionsvertrag umgesetzt. Die „Fachstelle Demokratie“ wird ihre Arbeit nach den Einschränkungen durch die Pandemie nun intensivieren.

Beteiligte Personen