Ein Interview mit Verena von Mutius-Bartholy, Fraktionsvorsitzende von BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN in Augsburg, Mitglied im Bauausschuss und im Hauptberuf als Juristin bzw. Oberverwaltungsrätin im Stadtplanungsbereich einer großen Kommunalverwaltung tätig.

Christine Kamm (CK): Verena, welche Erfahrungen hast Du mit Erhaltungssatzungen gemacht?

Verena von Mutius-Bartholy (VMB):  Ich habe mich in meinem Beruf schon häufiger mit Erhaltungssatzungen beschäftigt und mich intensiv mit dem Münchner Modell der Erhaltungssatzungen auseinandergesetzt. Dies hat dazu geführt, dass die Grüne Stadtratsfraktion schon in der letzten Legislaturperiode einen Antrag auf Erlass einer Erhaltungssatzung gestellt hat und das Thema sich im Grünen Kommunalwahlprogramm für 2020 und auch im schwarz-grünen Zukunftsplan (Koalitionsvertrag) findet.

CK: Erhaltungssatzung ist nicht gleich Erhaltungssatzung. Was gibt es da für Unterschiede? 

VMB: Es gibt drei verschiedene Arten von Erhaltungssatzungen. Das Baugesetzbuch (BauGB) unterscheidet dabei im §172 BauGB drei Tatbestände:

  1. die Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebiets aufgrund seiner städtebaulichen Gestalt,
  2. die Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung oder
  3. die Sicherung städtebaulicher Umstrukturierungen.

Die unterschiedlichen Arten von Erhaltungssatzungen kommen in Deutschland in unterschiedlicher Häufigkeit zur Anwendung. In Frankfurt und Stuttgart gibt es Erhaltungssatzungen zum Schutz der städtebaulichen Gestalt und damit verbunden der städtebaulichen Eigenart eines Gebietes. In München gibt es in vielen Innenstadtgebieten Erhaltungssatzungen zum Schutz der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung wie z.B. im Glockenbachviertel.

Im ersten Fall soll die städtebauliche Gestalt, also das Aussehen eines bestimmten Viertels, erhalten werden. Entscheidend ist, dass dieses Aussehen in dem Gebiet auch weitgehend einheitlich vorliegt. Wenn es sich um ein Aussehen handelt, das unter Denkmalschutz steht, geht der Denkmal-Ensembleschutz oft wesentlich weiter und schützt besser als eine Erhaltungssatzung. Der denkmalschutzrechtliche Ensembleschutz darf nicht mit dem Schutz eines Einzeldenkmals, wie einem Schloss, verwechselt wird, wo tatsächlich das einzelne Haus unter Schutz steht. Beim Ensembleschutz steht z.B. ein Viertel, wie ein Großteil des Thelottviertels, unter Schutz, da dieser etwa eine bestimmte Art der Bauweise zum Ausdruck bringt.

Bei Erhaltungssatzungen zum Erhalt der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung wird vom sogenannten “Milieuschutz” gesprochen. Hier soll der Gentrifizierung entgegengewirkt werden, indem die Umwandlung von Eigentum in Wohnungseigentum nach dem WEG verhindert wird. Dadurch soll verhindert werden, dass jemand, der ein Haus mit mehreren Wohnungen besitzt, diese teuer einzeln in Form von Eigentumswohnungen verkauft und damit dem Mietmarkt entzieht.

Eine Erhaltungssatzung zur Sicherung städtebaulicher Umstrukturierungen ist nur in besonderen Fällen anwendbar und aktuell in Augsburg kein Thema.

CK: Warum gibt es in Augsburg bis jetzt keine Erhaltungssatzungen? 

VMB: In Augsburg gibt es bisher keine Erhaltungssatzungen, da der Erlass an viele rechtliche Bedingungen geknüpft ist, die vorliegen müssen, um das grundgesetzlich geschützte Eigentum einzuschränken. Bei der städtebaulichen Erhaltungssatzung muss zudem genau nachgewiesen werden, dass genau für diesen Abschnitt, der geschützt wird, die städtebauliche Eigenart aufgrund des Aussehens der Gebäude vorliegt. Hier muss sehr genau aufgepasst werden, ob nicht ein Gebäude, das im Gebiet ist, dieses einheitliche Aussehen “durchreißt”. Für die Erhaltungssatzungen zum städtebaulichen Milieuschutz müssen zunächst verschiedene Daten erhoben werden wie z.B.: Wie viele Zu- und Wegzüge gab es in diesem Stadtviertel? Wie viele Single-Haushalte gibt es? Welche Einkommensstruktur herrscht in diesen Stadtvierteln vor? Hier haben wir uns als Grüne Stadtratsfraktion dafür eingesetzt, die entsprechenden Daten nach und nach zu erheben und dann in 2-3 Jahren eine Erhaltungssatzung, z.B. für die Jakobervorstadt, zu erlassen.

CK: Aktuell gibt es ja die “Initiative Bismarckviertel”, die Erhaltungssatzungen für Viertel wie das Thelott- und Bismarckviertel fordern, gefordert wird auch die Ausweitung des Ensembleschutzes Thelottviertel. Grund dafür sind Abrissvorhaben von Gebäuden wie z.B. der Villa in der Perzheimstraße 36 und der Villa an der Ecke Hochfeldstraße / Neidhartstraße. Wie können wir unsere stadtbildprägenden, historischen Gebäude vor dem Abriss am wirkungsvollsten schützen? 

VMB:  Wir Grüne wollen den Erhalt dieser wunderschönen, für das Lebensgefühl im Viertel und das Aussehen des Viertels prägenden Gebäude. Die beiden Villen sind jedoch unterschiedlich einzuschätzen. Während die Villa in der Hochfeldstraße / Ecke Neidhartstraße ein Wiederaufbau nach dem Krieg ist und insofern nicht als Denkmal in Betracht kommt, ist die Villa in der Perzheimstraße zwar verändert worden, aber noch an vielen Stellen im Originalzustand.

CK: Was kann man jetzt konkret für den Erhalt der Perzheimstrasse 36 tun?

Für das Thelottviertel macht insofern eine Erhaltungssatzung wenig Sinn. Hier ist es wichtig, dass der Landesdenkmalrat und das Landesamt für Denkmalschutz den Ensembleschutzes, unter dem das Thelottviertel sowieso steht, ausweitet. Der Denkmalschutz würde uns da viel weiterhelfen, da er – im Gegensatz zu Erhaltungssatzungen – nicht an so viele Bedingungen geknüpft ist. Ich bin froh, dass sich über das Wochenende das Landesamt für Denkmalschutz eingeschaltet hat und nun nochmal eine Bewertung vornimmt. Das ist vor allem auf die Vermittlung verschiedener Akteur*innen vor Ort – auch der Bucheggerstiftung, die natürlich ein Interesse am Erhalt hat – zurückzuführen. Für die Zeit der Bewertung ist so das Haus vor dem Abriss geschützt. Christl, wir beide hoffen, dass die Villa am Ende unter den Ensembleschutz fällt und nicht abgerissen wird. Für den Fall eines Abrisses hat der Bauausschuss aber parteiübergreifend klargestellt, dass er bei einer Neuerrichtung genau darauf achten wird, dass alle Voraussetzungen des Baurechts eingehalten und keine Ausnahmen erteilt werden. Hoffentlich kann so – neben der Prüfung durch das Landesamt für Denkmalschutz – nochmal Druck auf den Eigentümer ausgeübt werden. Dieser setzt sich übrigens beim Thema Straßenbahnlinie 5 sehr stark für den Erhalt des schönen Thelottviertels ein! Hier wird mit unterschiedlichem Maß gemessen und das vor allem aus einer persönlichen Betroffenheit heraus.

CK: Wie  geht es mit dem Bismarckviertel weiter?

Für das Bismarckviertel – besser gesagt für einen Bereich des Bismarckviertels, das ein städtebaulich prägendes Aussehen hat – wird gerade geprüft, ob eine Erhaltungssatzung zum Schutz des städtebaulichen Aussehens rechtlich möglich ist. Ich hoffe sehr, dass die Voraussetzungen nachgewiesen werden können. Grüne Politik ist aber auch immer schon ehrliche Politik gewesen, weswegen ich klar betonen möchte, dass der Erlass einer solchen Satzung kein Spaziergang wird. Ich habe aber Vertrauen in die Bauverwaltung, dass sie ordnungsgemäß prüft und dem Stadtrat dann das Ergebnis zur Beschlussfassung vorlegt. Dennoch müssen wir damit rechnen, dass betroffene Bewohner*innen aus dem Bismarckviertel – die Satzung wird immer für ein Gebiet und nicht für ein Haus erlassen – dagegen klagen werden, da sie sich in ihrer Eigentumsfreiheit beschränkt sehen und ein Gericht das Nichtvorliegen der Voraussetzungen, oder wie bei Bebauungsplänen, Abwägungsfehler feststellt. Deswegen ist der Weg der Erhaltungssatzung für diesen Bereich des Bismarckviertels der richtige; aber gewonnen ist dieser Weg leider noch nicht. In Bayern gibt es auch wenig Erfahrung mit solchen Satzungen, sodass auch unklar ist, wie Bayerische Verwaltungsgerichte und der Verwaltungsgerichtshof damit umgehen. Am 19. März beraten wir ja über die Festlegung des Erhaltungsgebiets im Stadtrat.

CK: Was wünscht du dir für Augsburg bei diesem Thema? 

VMB: Ich wünsche mir, dass wir so viele Gebäude wie möglich erhalten können, da sie ein Viertel prägen. Ich wünsche mir aber auch, dass wir uns bei dem Thema die Tatsachen ehrlich ansehen und z.B. nicht nach außen sagen: Durch die Erhaltungssatzung im Bismarckviertel erhalten wir preiswerten Wohnraum für das Bismarckviertel. Das trifft nicht zu, da die Erhaltungssatzung, um die es gerade geht, nicht die Mieten einfriert bzw. einer Gentrifizierung entgegen wirkt, sondern NUR dem Erhalt der Gebäude dient. Weiterhin würde ich mir wünschen, dass versucht wird, die Komplexität des Themas zu verstehen, auch wenn ich selber zugeben muss, dass das schwierig ist. Um der Gentrifizierung von Vierteln wie in der Jakobervorstadt entgegenzuwirken wünsche ich mir außerdem, dass wir bald Erhaltungssatzungen zum Schutz des Milieus erlassen!

 

Das Interview führte Christine Kamm, baupolitische Sprecherin des BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN in Augsburg.

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