Status: in Bearbeitung
Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
Deutschland ist ein alterndes Land. Laut Statistischem Bundesamt ist heute jede zweite Person in Deutschland älter als 45 und jede fünfte Person älter als 66 Jahre. Wie Bevölkerungsvorausberechnungen zeigen, wird der Anteil der über 66-Jährigen an der Gesamtbevölkerung bis 2060 von derzeit 16,4 Prozent auf rund 20 Prozent zunehmen. Eine so große Bevölkerungsgruppe ist naturgemäß vielfältig. Dieser Vielfalt und den damit einhergehenden unterschiedlichen Bedürfnissen muss bei der Planung von Pflege- und Sozialarbeit sowie bei der Schaffung von Aufenthalts- und Begegnungsmöglichkeiten für Senior*innen und Menschen unterschiedlicher Generationen Rechnung getragen werden. Speziell der Gruppe der LSBTQI+-Personen muss dabei Aufmerksamkeit gewidmet werden. Denn sie bringen oft besondere Bedürfnisse mit, die sich zumeist daraus ergeben, dass sie ihr Leben lang mit Vorurteilen und Diskriminierung zu kämpfen hatten und oft nicht frei und selbstbestimmt leben konnten. Die Anerkennung ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität und der vorurteilsfreie, sensible und respektvolle Umgang mit ihnen sind vor diesem Hintergrund sehr wichtig. In der Pflege und Sozialarbeit bzw. der Ausbildung zu diesen Berufen ist die Sensibilisierung für diese Hintergründe und Bedürfnisse bisher jedoch nicht systematisch integriert. Dies wird in Zukunft aber immer wichtiger werden, da sich laut einer Online-Befragung des Marktforschungs-unternehmens IPSOS in den jüngeren Generationen immer mehr Menschen als queer definieren.
Die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellt daher folgenden Antrag:
Die Verwaltung wird beauftragt zu prüfen,
Begründung:
LSBTIQ-Menschen sind auf ein Klima in Pflegeeinrichtungen und Pflegediensten angewiesen, das es ihnen ermöglicht, ihre geschlechtliche Identität und/oder sexuelle Orientierung nicht verstecken zu müssen, und das von Akzeptanz und Respekt geprägt ist. Queere Menschen und gerade auch ältere queere Menschen haben ihre ganz individuellen, besonderen Geschichten und eine spezielle Geschichte als Community. Diese war und ist sehr oft durch negative, z.T. traumatisierende Erfahrungen gekennzeichnet. Die Befreiung vom Nationalsozialismus 1945 bedeutete nicht das Ende der Ausgrenzung und strafrechtlichen Verfolgung von Homosexuellen. Die Alliierten strichen etliche NS-Gesetze, nicht aber die verschärfte Fassung von § 175. Jahrelang kämpften überlebende der nationalsozialistischen Schwulenverfolgung vergeblich um Anerkennung als NS-Verfolgte.
Auch heute haben queere Menschen noch keine völlige rechtliche Anerkennung. So sind queere Menschen die letzte von den Nazis verfolgte Gruppe, die noch keinen expliziten Schutzstatus im Grundgesetz haben.
Zudem werden Homosexuelle Menschen, Trans*- und Interpersonen bis in die Gegenwart hinein von Teilen der Öffentlichkeit nicht als gleichwertig wahrgenommen bzw. behandelt, erfuhren und erfahren Ablehnung, Stigmatisierung und Diskriminierung. Sie konnten und können nur hinter verschlossenen Türen, im Privaten und im Umfeld der eigenen Community frei mit ihrer sexuellen Orientierung bzw. ihrer geschlechtlichen Identität umgehen. Ein wesentlicher Einschnitt in viele queere Biografien waren zudem die 1980er Jahre mit der AIDS-Krise und die dadurch verursachten zahlreichen Todesfälle. Die sexuell übertragbare Immunerkrankung beeinflusst auch den Blick der Gesellschaft auf homosexuelle Menschen bis heute oft negativ. Insgesamt sind queere Menschen deutlich überdurchschnittlich oft Opfer von Diskriminierung, Ablehnung und gruppenbezogener Gewalt. Aus dieser juristischen und gesellschaftlichen Stigmatisierung entstehen besondere Bedürfnisse speziell der älteren Generation queerer Menschen. Diese müssen endlich anerkannt, sichtbar gemacht und im praktischen Umgang mit ihnen respektiert werden.